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Lied des Glaubens, Lied der Schlachtfelder

Michael Fischer hat untersucht, wie Martin Luthers berühmtester Choral im Ersten Weltkrieg für Propaganda missbraucht wurde

Freiburg, 13.08.2014

Lied des Glaubens, Lied der Schlachtfelder

(Ausschnitt Buchcover)

Ein Lied und seine Facetten: Im frühen 16. Jahrhundert verfasst Martin Luther den Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“, der zu den wirkmächtigsten Gesängen der deutschen Geschichte zählt. Schon in der Frühen Neuzeit gilt das Lied als konfessionelles Bekenntnis und entwickelt sich zu einem Identitätssignal des Protestantismus. Doch wie verändert sich die Bedeutung des Gesangs im Laufe der vergangenen Jahrhunderte? Dr. Dr. Michael Fischer, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Universität Freiburg, hat die Rezeptionsgeschichte des Kirchenlieds erforscht. Der Choral habe sich vor allem im Ersten Weltkrieg zu einem verbreiteten Propagandainstrument entwickelt: „Aus heutiger Sicht ist es unerträglich, welchen ungestörten Dreiklang Religion, Nation und Krieg gebildet haben“, sagt Fischer. „Martin Luther, der ein Glaubens- und Vertrauenslied dichten wollte, hätte sich wohl geschämt.“

In der nun erschienen Studie „Religion, Nation, Krieg. Der Lutherchoral Ein feste Burg ist unser Gott zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg“ zeigt der Freiburger Forscher, welche historischen Entwicklungen die propagandistische Verwendung des „Lutherlieds“ im Ersten Weltkrieg ermöglicht haben. Schlüsselereignisse sind die antinapoleonischen Kriege und das Wartburgfest von 1817, ebenso die Errichtung des Lutherdenkmals in Worms 1868 sowie die Reichsgründung 1870/1871. Fischer betont allerdings, dass das Lutherlied auch in liberalen und sogar in revolutionären Zusammenhängen verwendet wurde – eine Traditionslinie, die sich langfristig nicht durchsetzen konnte. 1914 siegte ein kämpferischer Nationalprotestantismus, der die letzte Zeile des Lieds „Das Reich muss uns doch bleiben“ auf das Deutsche Kaiserreich bezog. Interessant sei, dass sich der nationalreligiöse Gebrauch und Missbrauch des Liedes nicht nur in Textquellen wie Predigten, Traktat- und Erbauungsliteratur widerspiegele: „Die Kriegspropaganda nutzte auch den ‚Schein des Schönen‘: Visuell auf Bildpostkarten oder poetisch in Form von Lyrik wurde der Choral ideologisch vereinnahmt.“

Das Forschungsprojekt „Religion, Nation, Krieg“ am ZPKM untersucht Formen nationaler und kriegerischer Deutung des Religiösen im frühen 20. Jahrhundert. Der Wissenschaftler möchte damit zugleich einen kritischen Beitrag zum anstehenden 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 leisten. Die Rezeption des Kirchengesangs zeige, dass alle freiheitlich-emanzipatorischen Bewegungen gefährdet bleiben und in Gewalt umschlagen können, betont Fischer: „Der im deutschen Kaiserreich moderne ‚Kulturprotestantismus‘, das Aufgehen von Religion in Politik und Gesellschaft sowie das Ineinanderfallen von Staat und Kirche, sind genauso problematisch wie ein asketischer Fundamentalismus, der mit Heiligen Schriften die Welt regieren will.“

Weitere Informationen:
www.zpkm.uni-freiburg.de/forschung/erster-weltkrieg

 

Kontakt:
Dr. Dr. Michael Fischer
Zentrum für Populäre Kultur und Musik
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/7050315
E-Mail: michael.fischer@zpkm.uni-freiburg.de

 

Die Druckversion der Pressemitteilung (pdf) finden Sie hier.

 

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