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Vom Traum zum Trugbild

Die Hoffnung des früheren ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat auf Frieden im Nahen Osten blieb bislang unerfüllt – Islamwissenschaftler Simon Wolfgang Fuchs über die Gründe

Freiburg, 17.12.2018

Vom Traum zum Trugbild

Foto: rook76/Fotolia

Der frühere ägyptische Staatspräsident Anwar as-Sadat hätte am 25. Dezember 2018 seinen 100. Geburtstag gefeiert. Zusammen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin hatte er 1978 den Nobelpreis für seine Friedensbemühungen im Nahen Osten erhalten. Drei Jahre später starb as-Sadat durch dschihadistische Attentäter. „Sein großer Traum von Aussöhnung, Gerechtigkeit für die Palästinenser und dem Ende des Blutvergießens in der Region bleibt angesichts der heutigen Verhältnisse im Nahen Osten zwar relevant und doch ein Trugbild“, sagt Dr. Simon Wolfgang Fuchs vom Orientalischen Seminar der Universität Freiburg. Die Gründe dafür seien vielschichtig.

Bereits in seiner entscheidenden Rede am 20. November 1977, die er als erster und bisher einziger arabischer Staatenlenker im israelischen Parlament, der Knesset, hielt, sei sein persönliches Scheitern bereits angelegt gewesen. Denn der ägyptische Präsident habe im Brustton der Überzeugung davon gesprochen, dass ihn das ägyptische Volk damit beauftragt habe, jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind in Israel die „heilige Botschaft“ von Sicherheit und Normalisierung zu übermitteln. „Genau in dieser bevormundenden Haltung zeigte sich, woran die ägyptische Politik seit den 1950er Jahren, von Gamal Abdel Nasser bis hin zu dem heutigen Machthaber Abd al-Fattah as-Sisi, krankt“, betont Fuchs und fügt hinzu: „Stets nahmen Ägyptens autoritäre Herrscher für sich in Anspruch, im Auftrag des Volkes zu sprechen und große Projekte von oben herab zu initiieren.“ Eine Einschätzung, die auch für die meisten anderen arabischen Länder gelte.

Eine der Konsequenzen, die as-Sadats separater Friede mit Israel nach sich zog, sei gewesen, dass Ägypten sein wichtigstes Pfand aus der Hand gab: Der ägyptische Präsident habe es versäumt, als Bedingung für den Frieden eine gerechte Lösung für die Palästinenser einzufordern. „Seitdem haben die arabischen Staaten kein Druckmittel mehr, um Israel zum Einlenken zu zwingen und auf eine echte Zweistaatenlösung hinzuarbeiten.“ Zwar sprechen ägyptische Politiker das Thema auch heute regelmäßig an. Doch sei ihnen eher an einer geheimen, aber wirkungsmächtigen Kooperation mit Israel bei der Bekämpfung des so genannten Islamischen Staates auf der Sinaihalbinsel gelegen. Auch das Vorgehen gegen den Iran und die Muslimbruderschaft spiele eine Rolle.  „In dieser Frage überlappen sich derzeit  die Interessen Ägyptens, Saudi-Arabiens, der USA und Israels.“

Gerade im Vorgehen gegen den „Terrorismus“ komme die derzeitige autoritäre Haltung des amtierenden ägyptischen Präsidenten as-Sisi zum Ausdruck: Unter dem Schlagwort, für Ägyptens Sicherheit zu sorgen, habe das Militär seit 2011 eine ganz neue Macht erlangt. Es könne sich in nahezu jede innenpolitische Frage einmischen und durch spezielle Gerichtshöfe jedwede unliebsame Gruppe oder Person verfolgen. „Bei all dem stehen dem Militär exklusive wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung, die sich jeglicher zivilen Kontrolle entziehen.“ Die neue Repression habe sich bereits in der Niederschlagung friedlicher Proteste der Muslimbruderschaft 2013 manifestiert, welche die Absetzung des damaligen Präsidenten Mohamed Morsi durch die Armee im Juli des Jahres ausgelöst hätten. „Die Partei wurde verboten und zu einer terroristischen Vereinigung deklariert. Seitdem wurden Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt.“ Die Sehnsucht as-Sadats nach Frieden im Nahen Osten sei vor diesem Hintergrund weiterhin schmerzlich aktuell.

Dr. Simon Wolfgang Fuchs ist seit Oktober 2017 Akademischer Rat am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem der transnationale schiitische Islam, die religiöse Autorität im Nahen Osten und Südasien sowie konfessionelle Konflikte und die Geistesgeschichte des Jihads.




Dr. Simon Wolfgang Fuchs

Orientalisches Seminar
Platz der Universität 3, 79085 Freiburg

Tel.: +49 (0) 761/203-3157
Email:simon.w.fuchs@orient.uni-freiburg.de

 

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