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Datenbrille für Demenzkranke

Das Pflegepraxiszentrum testet, welche Technologien den Alltag von Pflegekräften und Patienten verbessern könnten

Freiburg, 13.02.2019

Datenbrille für Demenzkranke

Foto: Racle Fotodesign/stock.adobe.com

Eine Ampel, die den Lärm auf Intensivstationen reduziert, im Krankenhausbett integrierte Sensoren, die verhindern könnten, dass Patientinnen und Patienten stürzen, oder Virtual-Reality-Brillen, die Demenzkranke virtuell in vertraute Umgebungen versetzen: Der Markt für neue Technologien im Gesundheitswesen ist groß. Doch welche davon können das Pflegepersonal entlasten und zu einer besseren Versorgung der Patienten beitragen? Das Pflegepraxiszentrum für Pflegeexpertise und Technikeinsatz im Akutkrankenhaus (PPZ) der Universitätsklinik Freiburg erprobt seit gut einem Jahr solche Innovationen. Als eines von vier Zentren bundesweit fördert die Bundesregierung es mit vier Millionen Euro.

Beruhigen und Aufregung mindern: Mit Virtual-Reality-Brillen könnten Demenzkranke digital in eine ihnen vertraute Umgebung versetzt werden. Foto: Racle Fotodesign/stock.adobe.com

Seit Längerem beobachtet Dr. Johanna Feuchtinger die rasante Entwicklung auf dem Technologiemarkt für den Bereich Gesundheit und Pflege. Inzwischen werde sogar über den Einsatz von Robotern und Virtual Reality (VR) im Pflegebereich nachgedacht, berichtet Feuchtinger, die am PPZ die Stabsstelle Qualität und Entwicklung in der Pflege leitet. Das stellte sie auf einer Fachmesse in Wien im Dezember 2018 fest. Sympathie mischt sich bei ihr mit Skepsis: „Für mich kann so ein humanoider Roboter mit Glubschaugen ja ganz nett sein. Aber ein demenzkranker Patient könnte sich bedroht fühlen.“ Es gelte, Einschätzungen vor allem im Sinne der Patienten vorzunehmen. „Eine Klinik ist für einen älteren Menschen oder für einen Demenzkranken eine völlig fremdartige Welt. Diese Umgebung kann fürchterlichen Stress bedeuten.“ Potenziale sieht Feuchtinger zum Beispiel bei VR-Brillen. Die Geräte könnten einen Patienten durch gezielt ausgewählte Bilder beruhigen – etwa, wenn er die Brille aufsetzt und durch eine virtuelle Straßenbahnfahrt von Littenweiler nach Mooswald in eine ihm vertraute Umgebung versetzt wird.

Das PPZ soll in seiner fünfjährigen Laufzeit unterschiedliche Technologien testen. Dazu gehören Bettsensoren, die Bewegungen von Bettpatienten mit Sturzgefahr auf einem Bildschirm aufzeichnen. So bleiben die Pflegekräfte informiert und können rasch eingreifen. Ebenso kommen technische Hilfsmittel für Demenzkranke zum Einsatz, die die Orientierung verlieren, sich verirren und schlimmstenfalls auf die Straße laufen, wodurch sie sich und andere gefährden können. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Reduzierung des Lärmpegels auf Intensivstationen. Die gewonnenen Ergebnisse will das Zentrum in die Ausbildung von Pflegekräften einfließen lassen; auch Fort- und Weiterbildungen sollen die Inhalte vermitteln. Vorgesehen ist auch ein Wissenstransfer mit den drei Kooperationspartnern des PPZ – der Universitätsklinik Freiburg, der Hochschule Furtwangen sowie dem FIVE Forschungs- und Innovationsverbund an der Evangelischen Hochschule Freiburg.

Bettsensoren zeichnen die Bewegungen von Bettpatienten mit Sturzgefahr auf einem Bildschirm auf. So bleiben die Pflegekräfte informiert und können rasch eingreifen.
Foto: Pflegepraxiszentrum Freiburg

Einsatz auf der Intensivstation

Derzeit erprobt das PPZ den pflegerischen Einsatz von Bettsensoren und testet die Technologie sechs Monate auf zwei Intensivstationen mit mehr als 1.000 Patienten. Bis Juni 2019 sollen die Daten vorliegen. Die Zustimmung beim Pflegepersonal sei hoch, sagt Feuchtinger. Die Informationen, die die Pflegekräfte über die Bewegung der Patienten erhalten, helfen ihnen dabei, die Personen ganz individuell zu unterstützen. Allerdings sind die Geräte mit knapp 7.000 Euro pro Stück vergleichsweise teuer. 13 Geräte sind zunächst vorgesehen. Vielversprechend erscheint auch die Entwicklung auf dem Gebiet der „stillen Intensivstation“: Eine Lärmampel mit grünem, gelbem und rotem Bereich zeigt die Belastung durch Geräusche an. Das Ziel ist, den Geräuschpegel zu reduzieren, um Stress bei den Patienten und auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorzubeugen. „Ein Pfleger erzielte damit auf seiner Intensivstation sehr gute Erfolge. Im nächsten Jahr wollen wir die ‚stille Intensivstation‘ auch auf anderen Stationen anwenden“, sagt Feuchtinger.

Eine Lärmampel könnte den Geräuschpegel auf einer Intensivstation reduzieren – und damit den Stress von Patienten und Pflegepersonal. Foto: Chaikom/stock.adobe.com

 

In Algorithmen denken

Der Einsatz von Robotern ist fürs Erste nicht geplant, aber angedacht. Die Messe in Wien hat Feuchtinger das enorme Entwicklungspotenzial auf diesem Gebiet vor Augen geführt. Allerdings brauche der Einsatz von Robotern in der Pflege ein Gesamtkonzept: „Einen Roboter hinzusetzen und mit Frau Meier oder Müller allein zu lassen – das funktioniert so nicht. Da ist Personalkompetenz und -präsenz gefordert.“ Technik könne zwar zu Personaleinsparung führen, sei aber in vielen Fällen anspruchsvoll und aufwendig. „Die Pflegenden müssen beim Technikeinsatz lernen, in Algorithmen zu denken: Wenn ein Patient Situation X hat, dann passt Technik Y – oder eben nicht.“ Demnächst will Feuchtinger einige Anbieter nach Freiburg einladen, um sich über Einsatzmöglichkeiten zu informieren.

Werden Angebote wie die Bettsensoren auch von den Patienten angenommen? Johanna Feuchtinger berichtet von so genannten Ausweichtendenzen: Manche Patienten ignorierten zum Beispiel Sensormatten, die ihnen eine Stelle vor dem Bett vorgeben, auf die sie beim Aufstehen die Füße stellen könnten. „Das ist ein Indiz dafür, dass die Technologie als Bevormundung erfahren werden kann“, erklärt Feuchtinger. Wichtig sei es deshalb, die Selbstbestimmung des Patienten nicht einzuschränken. Und ebenso wesentlich sei es, alle Beteiligten – neben den Pflegekräften etwa Ärzte, Physiotherapeuten und das Assistenzpersonal – in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und dadurch für einen Wissenstransfer der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu sorgen.

Hans-Dieter Fronz

 

Pflegepraxiszentrum Freiburg