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Der Kampf gegen Berge, Wind und Regen

Andreas Gelz befasst sich mit Heldengeschichten über den Sport in der französischen Literatur

Freiburg, 08.06.2018

Der Kampf gegen Berge, Wind und Regen

Foto: Klaus Polkowski

Karlsruhe, Strasbourg, Basel, Mulhouse und Freiburg: Bei der diesjährigen Tour Eucor fahren Radlerinnen und Radler die fünf Standorte des European Campus ab. Sie begeben sich auf eine anstrengende Reise mit schwierigen Herausforderungen – wie Sportlerinnen und Sportler bei der Tour de France. Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Gelz vom Romanischen Seminar der Universität Freiburg befasst sich mit der Heroisierung von Sportlern in der französischen Literatur von der Zwischenkriegszeit bis heute. Kerstin Ernst hat mit ihm über die Tour Eucor und die Heldengeschichte im Radsport gesprochen.


Bei der Tour Eucor fahren Radler die fünf Standorte des European Campus ab.
Foto: Klaus Polkowski

Herr Gelz, derzeit fahren Radler die fünf Standorte des European Campus ab. Wie würde die Heldengeschichte bei der Tour Eucor aussehen?

Andreas Gelz: Bei der Tour Eucor würde ich nicht von einer klassischen Heldengeschichte sprechen, wie man sie bei einem Radrennen wie der Tour de France erzählen könnte. Dort stehen die sportliche Höchstleistung, die körperliche Grenzerfahrung, der nationale Raum und Prozesse kollektiver Identitätsbildung im Vordergrund. Diese Elemente spielen auch in Heldengeschichten eine wichtige Rolle. Bei der Tour Eucor liegt die identitätsstiftende Dimension gerade in der bewussten Überschreitung nationaler Grenzen. Kernbestandteil ist bei ihr weniger der Wettkampf als das Radfahren als Gemeinschaftserlebnis und der internationale Austausch. Die räumliche Verbindung der oberrheinischen Universitätsstandorte, die durch die Fahrt entsteht, soll auch helfen, ein neues grenzüberschreitendes Zusammengehörigkeitsgefühl auszubilden.

Solche Grenzüberschreitungen gibt es aber auch im klassischen Radsport?

Das stimmt, sie sind dort aber eher die Ausnahme von der Regel. Und sie geschehen durchaus vor politischem Hintergrund: 1965 etwa startete die Tour zum ersten Mal in Deutschland. Hintergrund war unter anderem der Abschluss der deutsch-französischen Elysée-Verträge 1963. Traditionell lag der Kern der 1903 gegründeten Tour aber darin, Frankreich im wahrsten Sinne des Wortes als einen nationalen Raum zu „er-fahren“. Die Etappen folgten lange Zeit den Ländergrenzen, zwischen 1930 und 1968 waren dort Nationalmannschaften am Start. Und Grenzüberschreitungen dienten übrigens nicht immer der Völkerverständigung. Sie waren im Gegenteil bisweilen von Gedanken der Revanche erfüllt: Von 1906 bis 1910 führte die Tour durch das von Deutschland annektierte Elsass und Lothringen. Für die Franzosen ging es dabei auch um eine symbolische Wiederaneignung des besetzten Raums. Ausgesprochen transnationale Radrennen sind selten, zu nennen wäre hier etwa die Internationale Friedensfahrt, die von 1948 bis zur Wende das große Radsportereignis in Mitteleuropa war. Sie führte durch Polen, die Tschechoslowakei sowie die DDR.

Wie sieht denn eine Heldengeschichte in Texten über den Radsport aus?

Der französische Theoretiker Roland Barthes hat in seinem Buch „Mythen des Alltags“ aus den 50er Jahren einen häufig zitierten Aufsatz geschrieben: „Die Tour de France als Epos“. Dort kommentiert er ihren Mythos und insbesondere ihre „homerische Geographie“, den heldenhaften Kampf der Radrennfahrer gegen die personifizierte gegnerische Natur, den Berg, Wind und Regen. Viele Darstellungen der Tour fokussieren einzelne Heldenpaare – Bartali gegen Coppi, Anquetil gegen Poulidor –, oder betonen den kämpferischen Ausreißversuch beziehungsweise die Soloflucht einzelner Fahrer, die sich vom Feld absetzen.


Körperliche Grenzerfahrung, der nationale Raum und Prozesse kollektiver Identitätsbildung stehen bei Radrennen wie der Tour der France im Vordergrund, erklärt Andreas Gelz. Foto: Ingeborg F. Lehmann

Ab wann spielt der Radsport in der französischen Literatur eine Rolle?

Als literarisches Ereignis findet man den Radsport schon recht früh, vor allem in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Zu Beginn dominierten hybride Texte zwischen Sportjournalismus und Literatur. Es gibt insgesamt eine große Vielfalt an Gattungen, die sich mit dem Radsport beschäftigen.

Welche sind das?

Ein Beispiel ist der Entwicklungsroman, bei dem ein Sportler aus einfachen Verhältnissen durch seine Erfolge sozial aufsteigt, oftmals aber auch wieder absteigt. Man findet auch autobiografische Texte, die der Bedeutung des Radsports im Leben der Autoren nachspüren. Spannend sind insbesondere solche Texte, bei denen die Autoren und Hobbyradfahrer vor dem Schreibprozess erst einmal eine bestimmte Tour de France oder einen Giro d’Italia nachfahren, das Radrennen somit als Gegenstand und Schreibanlass dient. Interessanterweise geht es auch in Kriminalromanen um den Radsport. Darin erscheint er als Symptom kritikwürdiger Zustände der Gesellschaft, man denke etwa an das Thema Doping. Weitere Gattungen sind beispielsweise Reiseberichte oder philosophische Texte, die sich unter anderem mit Fragen der Körperwahrnehmung, aber auch mit der Kategorie der Freiheit befassen.

Wovon handelten die Texte, die sich mit dem Radsport beschäftigten?

Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg war die zeitgeschichtliche Verankerung der Texte besonders auffällig. Der Krieg war gerade erst vorüber, viele Etappen der Tour durchquerten die Orte früherer Schlachten. Da die Straßen zu dieser Zeit oft nicht asphaltiert waren, sahen die nach kurzer Zeit stark verschmutzten Radfahrer wie Frontsoldaten aus. Albert Londres, ein bekannter Journalist, verglich zum Beispiel die zu Rennbeginn bunten, dann aber zunehmend verschlammten Radkäppis mit Wundverbänden verletzter Soldaten. Auch religiöse Metaphern wie die vom Radrennfahrer als Märtyrer, als eine Figur auf dem Kreuzweg, fanden Verwendung.

Welche literarische Darstellung des Radsports hat Sie am meisten beeindruckt?

Am meisten beeindruckt hat mich der Text „Strafgefangene der Landstraße. Reportagen von der Tour de France“ von Albert Londres, der die Tour 1924 für eine Zeitung begleitete. Er versuchte in seinen fragmentarischen, skizzenhaften Texten neue sprachliche Formen zu finden, um die Dynamik des Radsports literarisch einzufangen.

Weitere Informationen zur Tour Eucor