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Viel Wind machen

Ein neues Computermodell zeigt auf, wie die Bundesregierung ein wichtiges Klimaziel erreichen kann

Freiburg, 14.09.2018

Viel Wind machen

Foto: sakkmesterke/Fotolia

Windkraft ist eine wesentliche Säule der Energiewende in Deutschland: Bis 2030 soll die Ressource laut Bundesregierung zusammen mit Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse 65 Prozent des deutschen Strombedarfs decken. Dr. Christopher Jung und Dr. Dirk Schindler von der Universität Freiburg zeigen in ihrer aktuellen Studie, dass es bis zum Jahr 2030 möglich ist, 40 Prozent des derzeitigen Stromverbrauchs allein durch Windenergie zu decken. Voraussetzung ist, dass die Betreiber die Anlagen optimal auf dem deutschen Festland verteilen.

Das Blatt dreht sich: Bis zum Jahr 2030 will die deutsche Bundesregierung 65 Prozent des deutschen Strombedarfs mit Wind- und Wasserkraft, Solarenergie sowie Biomasse bestreiten. Foto: sakkmesterke/Fotolia

Hierzulande sind sie ein Reizthema: Windenergieanlagen. Erwin Teufel, der frühere baden-württembergische Ministerpräsident, warnte einst vor einer „Verspargelung“ des Schwarzwalds. Diese Bedenken scheint die Bundesregierung inzwischen überwunden zu haben und will vermehrt auf Windkraft setzen. Doch um dieses Klimaziel bis zum Jahr 2030 zu erreichen, liefern die deutschlandweit bereits installierten 28.675 Anlagen nicht genug Ausbeute. In Baden-Württemberg suchen die Gemeinden verzweifelt nach neuen Standorten: Im schlimmsten Fall kommen solche zum Zug, die politisch durchsetzbar sind, aber nicht immer einen effizienten Ertrag versprechen. „Wenn wir die Windenergie nicht optimal nutzen, müssen insbesondere im Hochschwarzwald mehr Windenergieanlagen als nötig installiert werden“, sagt Dirk Schindler von der Professur für Umweltmeteorologie.

Zusammen mit seinem Kollegen Christopher Jung hat er ein Computermodell entwickelt, das die ganze Bandbreite der Möglichkeiten abbildet: Windgeschwindigkeiten, Geländeoberflächen und Anlagengrößen sind nur einige der Stellschrauben, die einander gegenseitig beeinflussen und mit denen sie den Computer gefüttert haben. Mit dem Modell ermöglichen die Forscher Entscheidungsträgern eine „objektive Standortsuche“, die nicht allzu kleinräumig erfolgen sollte. „Wir suchen nach dem effizientesten Weg, um das Ziel zu erreichen“, erklärt Christopher Jung.

Nicht nur in flachen Gebieten wie in Deutschlands Norden wehen starke Winde. Die Studie der Forscher hat ergeben, dass Windkraftanalagen auch in bergigen Regionen gute Erträge liefern könnten. Foto: nalidsa/Fotolia

Standorte im Süden

Ginge es allein nach den Windgeschwindigkeiten, die die 400 Messstationen des Deutschen Wetterdienstes aus allen Teilen der Republik übermitteln, ergäbe sich ein eindeutiges Bild: Am stärksten brausen die in Europa üblichen westlichen oder südwestlichen Winde in Deutschlands Nordwesten, wo ihnen keinerlei Berge in die Quere kommen. Also könnte man doch rund um Bremen und Hamburg die Landschaft mit so vielen Windrädern zupflastern, dass der gesamte Bedarf bis 2030 gedeckt würde. Sie müssten noch nicht mal besonders groß sein. Gerecht wäre das aber nicht. Und auch nicht zwingend nötig. „Auch im Süden lassen sich Standorte finden, die exponiert genug sind, sodass sie eine gute Ausbeute versprechen“, behauptet Schindler.

Deutschlandweit haben die beiden Forscher diese Orte identifiziert. Viele rote Punkte auf einer Karte der Region Freiburg zeigen, wo was möglich ist. Auch der Schönberg wäre demnach ein Ort, wo sich eine Anlage lohnt. Was nach Jung nicht heißt, dass „alles, was ergiebig wäre, auch umgesetzt werden kann“. Je effizienter die Windenergie genutzt wird, desto weniger Anlagen werden gebraucht. Schließlich sollen sich die Eingriffe in die Landschaft in Grenzen halten. Die entwickelten Szenarien ändern sich, je nachdem, ob auf eine gleichmäßige Verteilung nach Bundesländern oder gar auf Landkreisebene geachtet wird. In Baden-Württemberg hätten die Höhen der Mittelgebirge die Hauptlast zu tragen, während in deren Windschatten gelegene Regionen wie Oberschwaben fein raus wären. Sollen sie aber auch ihren Teil beitragen, müssen dort entsprechend mehr Anlagen gebaut werden.

Eine Windkraftanlage soll maximale Erträge liefern – dazu müssen alte Anlagen durch technisch optimierte ausgewechselt werden. Foto: Peter/Fotolia

Veraltete Windräder auswechseln

Was aber macht einen guten Standort aus? Um das herauszufinden, haben die beiden Forscher die Windgeschwindigkeitsdaten von allen 400 Messstationen mit genauen Angaben zu den jeweiligen Geländeeigenschaften kombiniert. Die Messstelle am Freiburger Flugplatz etwa ist auf einer Rasenfläche auf 238 Metern über Normalnull am Rand des Rollfeldes gelegen, von ebenem Gelände und der Stadt im Osten umgeben. Die Geländeeigenschaften entscheiden zu einem großen Teil darüber, ob und wie stark Windströmungen gebremst oder beschleunigt werden. Aus all diesen Daten hat das Computermodell deutschlandweit flächendeckend die ergiebigsten Standorte analysiert und kann sogar ermitteln, in welcher Höhe – zum Beispiel über den Baumwipfeln des Schwarzwaldes – jeweils die größte Energieausbeute zu erwarten ist.

Nicht nur mit immer neuen Standorten kommt die Republik an das politisch gesetzte Ziel. „Wir müssen die vorhandenen Standorte besser nutzen“, sagt Dirk Schindler und verweist auf „den technischen Fortschritt der letzten Jahre, der zu viel leistungsfähigeren Windenergieanlagen geführt hat“. Veraltete Windräder sollten an so vielen Standorten wie möglich durch neue ersetzt werden. Im Computermodell haben Jung und Schindler 50 unterschiedliche Szenarien mit jeweils leicht veränderten Variablen berücksichtigt. Im besten Fall reichen insgesamt 36.000 Windenergieanlagen aus, um das von der Bundesregierung angestrebte Ziel zu erreichen. In der schlechtesten Konstellation wären es an die 80.000.

Mit Rotoren, die sie überwiegend stillstehen sieht, dürfte sich die Bevölkerung kaum vom Sinn der Windenergie überzeugen lassen. Die beiden Wissenschaftler rechnen aber mit einer wachsenden Akzeptanz für den Einsatz von Windkraftanlagen – wenn sichtbar wird, dass wirklich etwas dabei rauskommt.

Anita Rüffer