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Vorhersagemodell für Lebensräume

Aus Kristin Kaschners Doktorarbeit ist eine weltweit genutzte Datenbank zur globalen Verbreitung von Meerestieren hervorgegangen

Freiburg, 27.09.2017

 

Was und wie viel fressen Meeressäuger? Das wollte Dr. Kristin Kaschner in ihrer Dissertation herausfinden. „Die größte Herausforderung war aber, dass über die Verbreitungsgebiete der Tiere damals nur wenig bekannt war“, sagt die Wissenschaftlerin aus der Abteilung für Biometrie und Umweltsystemanalyse der Universität Freiburg rückblickend. Also entwickelte sie ein ökologisches Nischenmodell, um zu beschreiben, welche Art unter welchen Umweltbedingungen vorkommt, und setzte es in einem Geographischen Informationssystem (GIS) um. Daraus ist AquaMaps entstanden – eine Datenbank und ein Online-Atlas mit Karten zur globalen Verbreitung von Meerestieren, die inzwischen mehr als 25.000 Spezies erfasst: von Säugetieren, Fischen und Schildkröten bis hin zu Algen, Muscheln und Korallen.


Foto: Thesupermat/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Online-Atlas für alle Interessierten

„Die Idee ist, allen Interessierten einen Online-Atlas zur Verfügung zu stellen“, sagt Kaschner. In dem GIS ist die Welt in ein Raster mit 0,5 Längengrade auf 0,5 Breitengrade großen Feldern unterteilt. Für jedes Feld mit Meeresfläche gibt es Informationen über fünf Umweltparameter: Wassertiefe sowie langzeitliche Durchschnittswerte für Wassertemperatur, Salzgehalt, Meereiskonzentration und Primärproduktion, also Algen und Plankton. Ebenso ist für jede Art hinterlegt, unter welchen Bedingungen sie leben kann – mathematisch ausgedrückt in Form von Funktionen, die die optimalen und tolerierbaren Habitatseigenschaften beschreiben. Diese Informationen kommen aus frei zugänglichen Datenbanken wie Fishbase, SeaLifeBase oder Global Biodiversity Information Facility.

Sofern genügend Sichtungsdaten zu einer Art vorliegen, lässt sich errechnen, wo sich die jeweils geeigneten Habitate für eine Art befinden – es handelt sich also um ein Vorhersagemodell. „Wir legen alle Annahmen offen, alles ist transparent und diskutierbar“, betont Kaschner. „Wenn uns jemand beispielsweise meldet, dass eine Art auch in wärmerem Wasser vorkommt, als es in AquaMaps angenommen wird, können wir den Wert einfach anpassen.“ Die Karten sollen eine Diskussionsgrundlage für Expertinnen und Experten sein und werden, basierend auf neuesten Daten über Vorkommen, regelmäßig automatisch neu berechnet. Zudem ermöglichen AquaMaps-Karten differenzierte Aussagen darüber, wie gut sich ein Habitat für die jeweilige Art eignet, und sind dementsprechend farblich abgestuft: Potenzielle Lebensräume, in denen die jeweiligen Tiere nur selten vorkommen, sind gelb eingefärbt, die Kernlebensräume, in denen die Art auf jeden Fall zu erwarten ist, dagegen rot – je dunkler, desto geeigneter.

Kooperation zwischen Experten vertiefen

AquaMaps gilt inzwischen als eine der beiden maßgeblichen Datenbanken zur globalen Verbreitung von Meerestieren. Die andere, ein Projekt der International Union for Conservation of Nature (IUCN), arbeitet nicht mit Modellierungen, sondern erstellt Karten, indem sie das Expertenwissen über die einzelnen Arten auswertet. Bei den IUCN-Karten gebe es keine farbliche Abstufung, und es sei unklar, ob Kernlebensräume oder potenzielle Lebensräume abgebildet seien, sagt Kaschner. Ebenso seien die Quellen und Annahmen, die den Karten zugrunde liegen, oft nicht transparent. Bei AquaMaps wiederum seien weniger als zehn Prozent der Karten von Experten überprüft worden. Eine im Mai 2017 veröffentlichte Studie zeigt, dass die aus beiden Datenbanken erzeugten Karten dennoch bei vielen Arten in hohem Maß übereinstimmen – bei manchen jedoch liegen sie auseinander. „Wir möchten einen Anstoß geben, die Kooperation zwischen den Experten für bestimmte Tierarten und den Experten für Computermodellierungen weiter zu vertiefen, um die Methodik zu verbessern", sagt Kaschner. „Ziel ist, allen Akteurinnen und Akteuren aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zu Fragen rund um den Schutz bedrohter Arten und die Biodiversität in den Meeren eine möglichst gute Entscheidungsgrundlage zu bieten."

Blicke in Vergangenheit und Zukunft

Seit 2004 treibt Kaschner das Projekt AquaMaps voran. „Es ist das Hobby einer Handvoll Leuten“, sagt die Biologin. „Leider gibt es im Wissenschaftssystem für die dauerhafte Pflege solcher Datenbanken keinerlei Fördermöglichkeiten, obwohl die Informationen, die sie enthalten weltweit genutzt werden.“ Jüngstes Beispiel ist eine im August 2017 veröffentlichte Studie, die zeigt, viele Arten und welche Anteile ihrer Verbreitungsgebiete von den bestehenden Meeresschutzgebieten abgedeckt sind. Zudem ermöglicht AquaMaps Blicke in Vergangenheit und Zukunft – mit den Daten lässt sich auch untersuchen, wie sich Habitate beispielsweise seit dem Ende der jüngsten Eiszeit vor 10.000 Jahren verändert haben und wie sich der Klimawandel in den kommenden 100 Jahren vermutlich auf die Lebensräume von Arten auswirken wird.

Nicolas Scherger

 

Quiz: Welche Art lebt in welchem Gebiet?

1

Kegelrobbe (Halichoerus grypus)

A

2

Seekuh (Dugong dugon)

B

3

Weißer Marlin (Kajikia albida)

C

4

Nassau-Zackenbarsch (Epinephelus striatus)

D

5

Echter Clownfisch (Amphiprion percula)

E

6

Pottwal (Physeter macrocephalus)

F

7

Vaquita (Phocoena sinus)

G

 

Fotos: Andreas Trepte/Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.5; Julien Willem/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; lunamaria/Canstockphoto; Rick Smit/Wikimedia Commons, CC BY 2.0; Thesupermat/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0; seb2583/Canstockphoto; Paola Olson/NOAA

Quelle Karten: AquaMaps

 

(Auflösung: 1D, 2G, 3A, 4C, 5B, 6E, 7F)