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Fit für den Wirtschaftsunterricht

Ein Team aus Freiburg hat ein digitales Fortbildungsformat für Lehrer erarbeitet

Freiburg, 05.10.2017

Fit für den Wirtschaftsunterricht

Foto: pixelkorn/Fotolia

Schulen in Baden-Württemberg haben zu Beginn des Schuljahrs 2017/18 das Fach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung eingeführt. Damit sich Lehrerinnen und Lehrer das erforderliche Wissen aneignen können, hat ein Team aus Freiburg ein digitales Fortbildungsformat entwickelt.


Foto: pixelkorn/Fotolia

Mehr Gewicht für den Wirtschaftsunterricht: Was sich bislang in Fächerkombinationen wie WAG (Wirtschaft-Arbeit-Gesellschaft) oder EWG (Erdkunde-Wirtschaft-Gemeinschaftskunde) einzufügen hatte, kommt mit dem neuen Bildungsplan als eigenständiges Fach daher. Mit Beginn des Schuljahrs 2017/18 wird WBS (Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung) erstmals in allen siebten Klassen in Haupt- und Werkrealschulen, Realschulen und Gemeinschaftsschulen Baden-Württembergs unterrichtet. Die Gymnasien folgen im kommenden Jahr.

Doch die Sache hat einen Haken: Wer soll die Kinder unterrichten? Es gibt kaum ausgebildete Lehrer für Wirtschaft. So lief das Fach für Gymnasiallehrer im Schlepptau der Politikwissenschaften. Die Studierenden besuchten einige wenige ausgewählte Veranstaltungen der Wirtschaftswissenschaften, und damit hatte es sich. Eine eigene forschungsorientierte, eng mit der Fachwissenschaft verknüpfte Fachdidaktik? Fehlanzeige.

Das Fach im Lehramt emanzipieren

Tim Krieger ist früh hellhörig geworden. Der Inhaber der Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Universität Freiburg witterte eine Chance für die Emanzipation seines Fachs im Lehramt, zumal die Lehramtsstudiengänge ohnehin gerade alle auf Bachelor- und Masterabschlüsse umgestellt wurden. Innerhalb von wenigen Monaten entwickelten die Ökonominnen und Ökonomen der Universität Freiburg 2014 einen Bachelorstudiengang: Die Wirtschaftswissenschaften bieten damit seit 2015 erstmals ein eigenes Studium für das gymnasiale Lehramt an.

Den vielen Schulen im Land, die aktuell mit dem Wirtschaftsunterricht loslegen sollen, nützt das allerdings noch wenig. Zu viele Lehrer, die schon an den Schulen unterrichten, müssen in kürzester Zeit fit gemacht werden. Dafür reichten die Kapazitäten der baden-württembergischen Landesakademie für Lehrerfortbildung nicht aus.


Der Bildungsauftrag des neuen Fachs besteht Tim Krieger zufolge darin, dass die Schüler lernen, selbstbestimmt unterschiedliche Lebenssituationen zu bewältigen. Foto: Thomas Kunz

Auftrag aus dem Kultusministerium

Es traf sich gut, dass in Freiburg schon eine wegweisende Kooperation Fahrt aufgenommen hatte: Im Freiburg Advanced Center of Education (FACE) haben Universität und Pädagogische Hochschule (PH) ein Netzwerk für die Lehrerbildung geknüpft, an das auch Tim Krieger und seine PH-Kollegin Franziska Birke angedockt haben. Die Professorin für Wirtschaftspädagogik hat mit ihrem wirtschaftsdidaktischen Know-how bereits die Bildungsplankommission des Landes für das Fach Wirtschaft beraten. Zudem hat die PH schon länger Erfahrung mit dem eigenen Fach Wirtschaft im Lehramt. Das Kultusministerium trat an die beiden heran mit einem, wie Birke findet, erfreulichen Ergebnis: „Wir haben nun eine institutionalisierte Kooperation mit den Hochschulen in der Lehrerbildung bekommen.“ Der Auftrag: ein digitales Fortbildungsformat entwickeln, mit dem sich möglichst viele Unterrichtende in kurzer Zeit erreichen lassen.

So entstanden mit weiteren Beteiligten aus der PH so genannte massive open online courses, kurz MOOCS. Diese werden mit Präsenzfortbildungen für Lehrkräfte gekoppelt, sind seit April 2017 im Internet frei zugänglich und zielen darauf ab, wirtschaftswissenschaftliches Grundwissen zu verbreiten. Dafür haben Birke und Krieger mit dem Zentrum Mediales Lernen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Lehrvideos gedreht: Franziska Birke etwa erklärt in einer Art Vorlesung, garniert mit Daten und Grafiken, wie Ökonomen über knappe Ressourcen und zweckrationales Handeln denken. Oder Tim Krieger vermittelt gestenreich die Gesetze der Markt- und Preisbildung. Interaktiv können dazu diverse Aufgaben gelöst werden. Das bleibt jedoch ziemlich abstrakt. Die Schüler als wirtschaftende Individuen kommen allenfalls am Rande vor. „Unser Auftrag ist es, uns zunächst auf den fachlichen Anteil zu konzentrieren“, erklärt Birke – in dem Bewusstsein, dass es zu einem lebensnahen Unterricht für die Schüler noch ein weiter Weg ist.

Multiplikatoren schulen

Zur fachdidaktischen Umsetzung schulen Birke und Krieger mit ihrem Team derzeit 30 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an den Schulämtern. Innerhalb von drei bis vier Jahren absolvieren diese neben vier Online-Kursen mit Lehrfilmen und anderen Elementen auch vier zweieinhalb Tage dauernde Präsenzschulungen an einem Standort der Landesakademie. Die Multiplikatoren wiederum geben ihr Know-how an die Kolleginnen und Kollegen weiter: Jede der etwa 1.000 Schulen musste einen für Wirtschaft zuständigen Lehrer benennen und in einen Lehrgang eines Multiplikators entsenden. Für deren Schulung ist jeweils ein halber Tag pro Kurs vorgesehen. Diese Lehrgänge sollen didaktisch-pädagogisch ausgerichtet sein und vermitteln praktische Tipps für Unterrichtseinheiten.


In einer Online-Vorlesung erklärt Franziska Birke beispielsweise, wie Ökonomen über knappe Ressourcen und zweckrationales Handeln denken. Foto: PH Freiburg

Um die Schüler fit zu machen für die Börse – oder um der Wirtschaft willfährige Konsumentinnen und Konsumenten zu liefern, wie misstrauische Bildungsplankritikerinnen und -kritiker mutmaßten? Das wäre für Tim Krieger eine unzulässige Verkürzung des Bildungsauftrags: „Es geht darum, dass die Schüler lernen, selbstbestimmt unterschiedliche Lebenssituationen zu bewältigen.“ Als Konsumenten, etwa beim Handykauf, als spätere Arbeitnehmer oder Wähler, die sich von den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Parteien ein Bild machen müssen. „ Sie müssen sich immer für oder gegen etwas entscheiden. Diese Entscheidungen sollten sie bewusst und reflektiert treffen können.“

Es geht um Grundsätzliches

Im Wirtschaftsunterricht könnten die Schüler das eigene Einnahmen-Ausgaben-Verhalten verfolgen, Wirtschaftsnachrichten lesen, Börsenspiele spielen und reflektieren, Handyverträge analysieren, aber auch die negativen Rückwirkungen ihres Konsums diskutieren. Herauskommen soll dabei Grundsätzliches, zum Beispiel verstehen, wie ein Vertrag funktioniert – oder eine gesamte Volkswirtschaft: An handlungsorientierten Beispielen sollen sie übergeordnete Kompetenzen erlernen. Und in die Lage versetzt werden, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, wenn selbst beim Jeanskauf zwei Seelen in der eigenen Brust miteinander kämpfen: kaufen, was einem am besten gefällt oder was nachhaltiger produziert wurde?

Anita Rüffer

https://mooc.lehrerfortbildung-bw.de/kurse/wirtschaft-berufs-und-studienorientierung-wbs