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Früher Claude, später Lothar

Studierende haben erforscht, wie sich die badische Verwaltung im Elsass während des Nationalsozialismus verhielt

Freiburg, 31.05.2017

Früher Claude, später Lothar

Foto: Privat

Geschichtsforschung lässt sich so oder so betreiben: Die einen vergraben sich in Archiven und verfassen Hausarbeiten, die kaum jemand liest. Johannes Heitmann hingegen hat seinen Großvater Heiko Heitmann befragt und in einem Blog veröffentlicht, was dieser im Nationalsozialismus als Kind eines deutschen Besatzers im elsässischen Thann erlebte. Ein Paradebeispiel für die Methode der „public history“, die die Lebenserfahrungen der Menschen als Quelle anzapft.


Von Saarbrücken nach Alt-Thann: Heiko Heitmann (links) zog 1942 mit seiner Mutter Gerta (Zweite von links) und seinem Vater Christian (Mitte) ins Elsass – rechts ist Heikos Freund Claude zu sehen. Zwei Jahre später floh die Familie vor US-amerikanischen Alliierten. Foto: Privat

Die Geschichte des Elsass während der NS-Zeit war Thema eines Hauptseminars, das Heitmann, angehender Geschichtslehrer, bei Prof. Dr. Sylvia Paletschek und ihrer Mitarbeiterin Dr. Marie Muschalek belegt hatte. „Wir haben nach anderen Formen der Aufbereitung und Vermittlung historischer Forschung Ausschau gehalten“, erklärt Muschalek. Als Doktorandin in den USA hatte sie sich intensiv mit den Neuen Medien auseinandergesetzt. Blog statt Hausarbeit – das passte. Zumal es schon eine Website gab, auf der der Blog veröffentlicht werden konnte: Auf Betreiben des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums soll die Grundlagenforschung zur nationalsozialistischen Herrschaftspraxis verstärkt werden.

Mehrere Universitäten, darunter auch die Albert-Ludwigs-Universität, beteiligen sich daran, und sie kehren vor der eigenen Haustür: Die Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg während des Nationalsozialismus ist ihr Forschungsgegenstand. Dazu gehört auch das Elsass, das die Nazis von 1940 bis 1944 besetzt hielten; war der badische Gauleiter Robert Wagner von Hitler doch mit weitreichenden Vollmachten für die Verwaltung des Gebiets ausgestattet worden.

Zerrissen zwischen Deutschland und Frankreich

„Es wurde nicht alles aus Berlin gelenkt“, stellt Muschalek klar. Wagner hatte seine Leute aus den Ministerien und der Partei ins Elsass geschleust, das völkerrechtlich kein Teil des Deutschen Reiches war. An ihnen lässt sich hervorragend studieren, wie sie sich verhielten, welche Handlungsspielräume sie ausloteten, ob sie alle Nazis waren. Eine „Kulturgeschichte des Verwaltungshandelns“ soll am Ende des Projekts herauskommen. Sie könnte zeigen, wie sich die nationalsozialistische Ideologie „auf Samtpfoten von unten“ in banale Verwaltungsabläufe einschlich.

Was der heute 85-jährige Heiko Heitmann seinem Enkel Johannes erzählte, verschafft lebensnahe Einblicke in das Verhalten der badischen Nazis in einer Region, die sich in ihrer Identität schon immer zwischen Frankreich und Deutschland zerrissen fand. Da gab es etwa eine Nachbarin in Thann, die zwei Söhne verloren hatte. Der erste war als französischer Soldat von den Deutschen erschossen worden. Der zweite fiel als deutscher Soldat an der Ostfront.

Eine Erkenntnis des Enkels Johannes: „Die Deutschen haben ständig ausgelotet, wie weit sie ihre Repressionen treiben können. Schließlich wollten sie aus den Elsässern Volksgenossen machen.“ Aus Claude, einem Freund des Großvaters, wurde zwangsweise Lothar. Deutsche Vornamen waren Pflicht. Die Armaturen im Bad durften nicht mehr mit „froid“ (kalt) und „chaud“ (heiß) gekennzeichnet sein. Der Versuch, alles Französische aus dem Elsass zu verbannen, während Französisch im Reich weiterhin als Schulfach gelehrt wurde, produzierte Kuriositäten zuhauf.

Quellen für Laien aufbereiten

Ähnlich handelten die badischen Behörden bei der Einführung der Hitlerjugend im Elsass: „Anders als in den übrigen besetzten Westgebieten mussten alle zwangsweise beitreten.“ Eine Exkursion des Seminars ins französische Strasbourg machte deutlich, wie die Nazis versuchten, den elsässischen Kampf um eine eigene Identität für sich zu vereinnahmen: Bedenkenlos wurde die „Place Kléber“ in „Karl-Roos-Platz“ umbenannt, nach einem angeblich „deutschen Märtyrer“. Er war von den Franzosen hingerichtet worden, weil er dem Elsass seine Eigenart bewahren wollte.

Die Studierenden untersuchten auch Quellen zu ganz banalen Verwaltungsabläufen, die sie für Laien verständlich aufbereitet haben. Ein Pflegeheim etwa kam mit seinen Holzbezugsscheinen nicht hin. Es musste zu viele Särge bauen. Nach Kriegsende wollte jedenfalls keiner mehr Nazi gewesen sein, wie Johannes Heitmann beim Studium der badischen Spruchkammerakten zu den Entnazifizierungsverfahren herausfand: „Erstaunlich, wie sich darin die Selbstdarstellung verändert.“

www.ns-ministerien-bw.de

Anita Rüffer