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Lesen vor Luther

Eine Ausstellung zeigt Bibelübersetzungen, die vor der Zeit der großen Reformation entstanden sind

Freiburg, 22.05.2017

Lesen vor Luther

Foto: Thomas Kunz

Ein Mediävistik-Kurs nutzt den Hype ums Luther-Jahr und setzt sich mit deutschen Bibelübersetzungen in Handschrift und Druck auseinander – aus vorlutherischer Zeit. Das Besondere: Alle Manuskripte lagern in der Universitätsbibliothek (UB) Freiburg. Bei der wissenschaftlichen Arbeit an jahrhundertealten Originaldokumenten ist eine Ausstellung entstanden, die bis zum 23. Juni 2017 in der Volkshochschule Freiburg besichtigt werden kann.


Angebracht: Die Posterausstellung kann bis zum 23. Juni 2017 in der Volkshochschule Freiburg besucht werden. Foto: Thomas Kunz

Einzig und allein das Verdienst Martin Luthers: So scheint der Siegeszug der „Volksbibel“, die 1534 erstmals in der vollständigen Auflage erschien. Der berühmte Reformator übersetzte das Alte Testament nach dem hebräischen Urtext und übertrug das Neue Testament aus dem Griechischen – das war etwas qualitativ Neues. Doch was passierte vor Luther?

Diese Frage stellten sich Studierende der Universität Freiburg unter Anleitung des Mediävisten Dr. Balázs J. Nemes vom Deutschen Seminar. In der Lehrveranstaltung „Back to the roots – Mittelalterliche deutsche Literatur aus (Freiburger) Handschriften“ widmeten sie sich Text- und Buchtypen der Bibelübersetzung, die dem berühmten Reformator zeitlich vorausgehen, und wollten das populäre Luther-Bild etwas zurechtrücken.

Zehn Jahre nach Gutenbergs epochalem Druck der lateinischen Bibelübersetzung „Vulgata“ kommt 1466 in Straßburg die Mentelin-Bibel heraus – die erste gedruckte deutsche Bibel, ja die erste gedruckte Bibel in einer europäischen Volkssprache überhaupt. „In den folgenden Jahrzehnten sind bis 1518 allein im oberdeutschen Raum 13 weitere Auflagen der Deutschen Bibel erschienen, also der vollständigen Bibel“, erläutert Nemes. Sie beruhten auf einer Übersetzung aus dem 14. Jahrhundert, die wiederum nur eine unter den vielen mittelalterlichen (Teil-)Übersetzungen der Bibel ist.

Fischen im Textstrom

Aus diesem, wie Nemes es nennt, „breit dahinfließenden Strom“ fischte er mit seinen Masterstudierenden exemplarisch Texttypen heraus. Zurück zu den Quellen also. Und das ist das Besondere an der Lehrveranstaltung: Diese Quellen lagern allesamt in Freiburg. „Ich arbeite gerne mit den Beständen der Universitätsbibliothek“, sagt Nemes. „Dazu gehört seit 2006 auch eine ehemalige Privatsammlung aus Berlin, die 30 volkssprachliche Handschriften umfasst, aber wissenschaftlich noch nicht vollständig erschlossen ist.“

Mit Sondererlaubnis und Spezialhandschuhen: Das Team untersucht die wertvollen Originale, die in der Universitätsbibliothek Freiburg aufbewahrt werden. Foto: Thomas Kunz

Einen Beitrag dazu haben nun die Seminarteilnehmenden geleistet. Mit Sondererlaubnis und Spezialhandschuhen durften die sechs Studierenden und ihr Dozent im Sonderlesesaal der UB die mehr als 500 Jahre alten Originaldokumente untersuchen. Manche davon sind 30 auf 40 Zentimeter groß, sehr wuchtig und einige Kilogramm schwer. Andere messen gerade mal 8,5 auf 11,5 Zentimeter, so zum Beispiel ein Gebetbuch aus dem Spätmittelalter, das Bußpsalmen enthält und obendrein mit Ledereinband, goldverzierten Initialen und teurem Pergament prunkt.

Wertvolle Schnipsel

„Der repräsentative Charakter der Handschrift lässt auf den Status der Besitzerin – eine adlige Frau – schließen. Der Inhalt des Manuskripts zeigt an, dass die Besitzerin das Gebetbuch selbst für ihren persönlichen Gebrauch in Auftrag gab“, erläutert Kursteilnehmerin Chiara Mazzoleni. Ganz anders bei Laura Hagen, die sich mit einem Fragment beschäftigt hat, einem Apokalypsenkommentar aus der Feder des Ritters Heinrich von Hesler. „Die zwei kleinen ‚Schnipsel‘ sind geknickt und zerlöchert. Wahrscheinlich wurden sie als Falzmaterial zur Stabilisierung eines Buchrückens oder von Einzellagen benutzt“, vermutet die Studentin.


Johannes der Evangelist – Seher der Apokalypse: Die wohl im Erfurter Benediktinerkloster um 1350 entstandene Handschrift enthält ungewöhnliche, an die zeitgenössische Tafel- und Wandmalerei erinnernde Illustrationen, auch zur Apokalypse. Foto: Thomas Kunz

Lea von Berg setzte sich mit der Historienbibel, einer Art Vorläuferin der heutigen Kinderbibel, auseinander, während Christoph Martin Perikopen beackerte – Teile einer Bibel, die im Gottesdienst vorgelesen werden. Sein Resümee zur Aura der historischen Objekte: „Einiges kann man tatsächlich nur am Buch und nicht an dessen Digitalisat herausfinden. Außerdem gefällt mir, dass die Ergebnisse der Lehrveranstaltung nicht versickern, sondern in der Ausstellung zugänglich gemacht werden.“

80 Seiten und viele Poster

Anhand von Postern sind die unterschiedlichen Typen mittelalterlicher deutscher Bibelübersetzung in den kommenden Wochen in der Volkshochschule Freiburg zu sehen. Die Ausstellung thematisiert auch die 1466 einsetzende Drucküberlieferung und zeigt die bedeutendsten Druckausgaben der deutschen Bibel vor Luther. Diesen Teil hat der Freiburger Mittelalterforscher Prof. Dr. Nikolaus Henkel kuratiert.

Herausgekommen ist für Seminar mit sechs Studierenden also geradezu Außergewöhnliches: eine Ausstellung sowie eine 80 Seiten starke „Broschüre“, wie es die Macherinnen und Macher voller Understatement nennen – eigentlich ein kleiner Katalog, den das Team mit selbst verfassten Texten bestückt hat.


Die sechs Masterstudierenden haben gemeinsam mit Balázs J. Nemes (links) und Nikolaus Henkel (rechts) eine Ausstellung sowie einen 80-seitigen Katalog erarbeitet.
Foto: Nasser Parvizi

Ausstellung anschauen
Die Posterausstellung „Vor Luther – Deutsche Bibelübersetzungen in Handschrift und Druck“ kann bis zum 23. Juni 2017 in der Galerie im Schwarzen Kloster der Volkshochschule Freiburg, Rotteckring 12, 79085 Freiburg besichtig werden. Die Öffnungszeiten sind montags bis donnerstags von 9 bis 18 Uhr und freitags von 9 bis 12.30 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos. Das Vorhaben wurde aus den studentischen Qualitätssicherungsmitteln des Projektwettbewerbs „Innovatives Studium 2017“ finanziert.

Alexander Ochs