Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin lehren & lernen Miteinander musizieren, voneinander …

Miteinander musizieren, voneinander lernen

Studierende der Ethnologie feiern mit Muslimen das Fastenbrechen

Freiburg, 20.06.2017

Miteinander musizieren, voneinander lernen

Foto: Patrick Seeger

Hochschuldozentin Mirjam Lücking bietet Teilnehmenden an ihrem Seminar über populäre islamische Kulturen praktische Lernmöglichkeiten: Im Garten hinter dem Freiburger Institut für Ethnologie machten Studierende zusammen mit Gästen aus Indonesien, Syrien, Algerien und weiteren islamischen Nationen Musik. Die Jam Session und Gespräche verkürzten das Warten aufs Fastenbrechen im Ramadan – und lieferten Einblicke in andere Kulturen.

Eine Jam Session macht islamische Musik für Studierende der Ethnologie erlebbar.
Foto: Patrick Seeger

Tief steht die Sonne. Ihre letzten Strahlen tauchen den Garten hinter dem Institut für Ethnologie in weiches Licht. Viele Menschen, die zwischen Kirschbaum und Haselbusch plaudern, haben diesen Moment herbeigesehnt. Mit dem Sonnenuntergang endet im Ramadan das Fasten für Muslime. Obwohl rund ein Drittel der 50 Gäste anderen Religionen angehört, wollen alle die ersten Bissen gemeinsam nehmen. Ein paar Meter nebenan ist der Tisch reichlich gedeckt: Falafel, Tabouleh, Kichererbsen-Oliven-Salat, Brot, Börek, Schokokuchen... Die Vorfreude steigt. Unruhe regt sich. Da erhebt sich ein Student aus Indonesien und beginnt, in melodischem Sprechgesang den azan-Gebetsruf anzustimmen, um das Fastenbrechen einzuleiten. Sämtliche Gespräche verstummen. Jeder lauscht gebannt. Selbst der Hunger gerät für ein paar Augenblicke in Vergessenheit.

Etwa 50 Gäste feiern im Garten hinter dem Institut für Ethnologie gemeinsam das Fastenbrechen.
Foto: Patrick Seeger

Unmittelbarer als die Literatur

„Solche Events gehören zur Praxis in der Lehre", erklärt Hochschuldozentin Mirjam Lücking. Sie hat gerade ihre Promotionsarbeit am Freiburger Institut für Ethnologie abgeschlossen. Ethnologinnen und Ethnologen beschäftigen sich mit alltäglichen Lebensrealitäten. Neben der Theorie sollen Lehre und Forschung dazu einen praktischen Zugang bieten, sagt Lücking: „Wir setzen auch auf erfahrungsbasiertes Lernen. Die Studierenden sollen nicht nur über Menschen aus anderen Kulturen reden, sondern ebenso mit ihnen." Wie sieht woanders der Alltag aus? Was treiben die Menschen, und was treibt sie an? Davon sollen Studierende der Ethnologie unmittelbarer erfahren, als es in der Literatur steht. „Deshalb ermutigen wir Studierende, außerhalb der Seminarräume zu lernen", sagt Lücking. Heute stehen das Fastenbrechen während des Ramadans und populäre islamische Musik im Mittelpunkt. Die Veranstaltung hat Lücking mit Teilnehmenden aus ihrem Seminar über populäre islamische Kulturen organisiert. Ihnen soll eine Jam Session die Wartezeit bis zum Sonneuntergang verkürzen.

Dozentin Mirjam Lücking will ihren Studierenden einen praktischen Zugang zu alltäglichen Lebensrealitäten in anderen Kulturen bieten. Dafür hat sie beispielsweise ein Büfett zum gemeinsamen Fastenbrechen organisiert.
Foto: Patrick Seeger

„Ich habe ziemlich Hunger", gesteht Seminarteilnehmer Anton Legge vor dem Event und knabbert etwas abseits an einem Fladenbrot. Er freut sich auf Essen, Musik und Tanz: „Aber vor allem möchte ich mit Leuten kommunizieren, deren Kultur ich nicht kenne." Isabella Graf nimmt am Institut für Ethnologie zurzeit an einer deutsch-indonesischen Lehrforschung teil: „Ich habe einen indonesischen Tandem-Partner, mit dem ich jetzt vier Wochen forschen werde." Seit 15 Jahren findet dieser Austausch zwischen Ethnologieinstituten von zwei indonesischen Universitäten und der Universität Freiburg statt. Graf ist es wichtig, dass sich alle prima miteinander unterhalten: „Ich wünsche mir, dass auch die 20 Studierenden aus Indonesien gut mit eingebunden werden." Aber ebenso sind Gäste anderer Nationalität gekommen. Die haben Lücking und ihre Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer über das Islamische Zentrum Freiburg und die Nichtregierungsorganisation „Start with a Friend" eingeladen.

An anderen Kulturen interessiert: Anton Legge nimmt am Seminar über populäre islamische Kulturen teil, Isabella Graf forscht gemeinsam mit einem Tandem-Partner aus Indonesien.
Foto: Patrick Seeger

Die Musiker finden immer besser zusammen

Die Jam Session kommt eher zögerlich in Gang. Erst nach einiger Zeit fängt die Musik an, einen Teil der Wiese hinter dem Ethnologischen Institut zu überspannen. „Einige sind ein bisschen scheu", sagt Lücking. Die Hochschuldozentin will außer der Musik weitere Anknüpfungspunkte anbieten. Darum verteilt sie Papierstreifen mit Fragen zum Fasten bei Muslimen und Christen: Gibt es typische Speisen im Ramadan? Welche Fastengeschichte steckt hinter Maultaschen? Die Fragen sollen den interkulturellen und persönlichen Austausch anstoßen. Lücking verteilt sie: „Ihr könnt ja vielleicht als Spiel herangehen? Die Herausforderung ist, hier jemanden zu finden, der eure Frage beantworten kann." Allein um der Kommunikation Willen wären die Papierstreifen unnötig gewesen: Von Vorneherein laufen Gespräche an. Die Gäste aus Indonesien, Algerien, Syrien und Deutschland unterhalten sich locker und angeregt untereinander. Die Zusammensetzung der Grüppchen wechselt ständig.

Auch die Musik entfaltet mittlerweile Dynamik: Immer mehr Musikerinnen und Musiker finden immer besser zusammen. Geplänkel entwickelt sich zum Lied, bis sich fast pausenlos internationale Songs und islamische Popmusik aneinanderreihen. Ganz zeitgemäß unterstützen Smartphones den musikalischen Austausch: Viele Singende lesen Texte vom Display ab. Dabei war vorgesorgt, falls die Besucherinnen und Besucher doch zu wenig Lust oder Mut zum Musizieren aufgebracht hätten. Lückings Seminarteilnehmende hatten extra eine Playlist mit Lieblingshits aus der islamischen Welt zusammengestellt. Nur wenige davon kommen zum Zug: Die Gruppe derer, die Musik machen wollen, wird größer. Später reichen sogar die Instrumente nicht für alle Willigen. Die Begeisterung wächst so sehr, dass die Veranstalterinnen und Veranstalter kurz nach Mitternacht aktiven Lärmschutz betreiben: Sie verabschieden ihre Gäste mit mildem Nachdruck.

„So etwas habe ich noch nie gehört"

„Mit hat es sehr gut gefallen – eine schöne Aktion", sagt Isabella Graf. Alle hätten sich beteiligt, geredet oder gesungen. Man sei mit jedem zwanglos ins Gespräch gekommen: „Ich habe viel über islamische Kulturen erfahren." Am tiefsten hat sie der gesungene Gebetsruf beeindruckt. Vor dem Abend hatte Isabella Graf geglaubt, solche Gesänge seien privater, etwas, das man nicht mit Menschen anderen Glaubens teilt. Auch Anton Legge war von dem Abend und dem Gebetsgesang begeistert: „So etwas habe ich noch nie gehört." Getanzt hat zwar keiner. Auch die Playlist, auf die er sich gefreut hatte, ging unter. Ausgleich boten ihm das Essen – „super Zeug, total lecker!" – und die Gespräche: „Ich habe mich super unterhalten. Es gab viele Berührungspunkte, für die wir den perfekten Rahmen geschaffen haben." Über so viel Lob freut sich Mirjam Lücking selbstverständlich. Der Abend hat Lehre und Spaß bestens verbunden. Die zwei Studierenden und ihre Dozentin sind sich einig: Veranstaltungen wie diese schreien nach Wiederholung.

Jürgen Schickinger