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Zwei Flüsse, eine Identität

Die Freiburger Ethnologin Anna Meiser untersucht indianische Kirchen im Amazonasgebiet

Freiburg, 11.01.2013

Zwei Flüsse, eine Identität

W. Kohlhammer GmbH

„Ich trinke aus zwei Flüssen“, antwortet ein Christ vom indianischen Volk der Shuar auf die Frage, wie er seine ursprüngliche Herkunft und seinen neuen, von Missionarinnen und Missionaren vermittelten christlichen Glauben verbindet. Dieses Zitat ist der Titel des Buches, in dem Prof. Dr. Anna Meiser vom Institut für Ethnologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg die Religionswelt zweier ethnischer Gruppen im Amazonasgebiet von Ecuador und Peru ergründet. Ihr Ergebnis ist, dass das Christentum die indigene, das heißt die einheimische Religion der Ureinwohner zwar grundlegend verändert, aber weder verdrängen noch zerstören muss.

Zwölf Monate hat die Wissenschaftlerin im Regenwald bei den Shuar und den Achuar verbracht, die kulturell und sprachlich miteinander verwandt sind. Ausschlaggebend für ihr Interesse und für die Idee zu ihrem Buch war ein Erlebnis, das sie 2001 als Volontärin eines Umweltschutz- und Ökotourismus-Projektes hatte: Als sie einen Schamanen der Shuar in seinem Haus besucht, entdeckt sie zwischen einer Anakonda-Haut und Lianen-Fasern Bilder von Jesus Christus und der Jungfrau Maria, die ihr in diesem Umfeld untypisch erscheinen. Missionare versuchen seit Ende des 19. Jahrhunderts, vermehrt jedoch seit den 1960er Jahren die Shuar und Achuar zum christlichen Glauben zu bekehren. Nach ihrem Erlebnis im Haus des Schamanen fragt sich Meiser jedoch, wie ein Indigener die beiden Religionen vereinbaren kann. „Ich wollte herausfinden, inwieweit das Aufeinandertreffen von christlicher und indigener Kultur dazu geführt hat, dass die Shuar und Achuar zwischen diesen beiden Welten zerrissen werden“, sagt sie.

Meiser hat vor Ort die beiden vorherrschenden Konfessionen untersucht: die katholisch-autochthone und die evangelikal-indigene Kirche. Sie hat den Gottesdienst, Praktiken, Symbole, Bibelübersetzungen, andere kirchliche Schriften und die zugrunde liegenden Konzepte analysiert. Die katholisch-autochthone Kirche betont die Kontinuität zwischen der indigenen Religion und dem Christentum und übernimmt die althergebrachte Mythologie der Bewohnerinnen und Bewohner des Regenwaldes als Altes Testament. Vertreterinnen und Vertreter dieser Konfession integrieren indigene Elemente wie Symbole, Feste oder Mythen in ihre christliche Praxis. Die evangelikal-indigene Kirche hingegen geht mit einer solchen Integration vorsichtiger um. Der Übertritt in die andere Religion bedeutet stattdessen einen radikalen Wandel. Die evangelikalen Christen verstehen sich zwar noch immer als Achuar und Shuar, doch hier sind Arutam, der Gott der traditionellen Mythologie, und der christliche Gott verschieden, während sie bei den katholisch-autochthonen Christen derselbe sind.

„Das Buch will zeigen, dass es möglich ist, beide Welten und beide Identitäten zu vereinen – sowohl aus der Sicht der Missionare als auch aus der Perspektive der Indigenen. Denn die Indigenen denken nicht wie wir, sie teilen die Welt nicht in gegensätzliche Kategorien ein“, sagt Meiser. „Christliches und Indigenes sind aufeinander getroffen und haben sich vereint, ohne dass sich das Eine zugunsten des Anderen aufgelöst hätte.“

Publikation:
Meiser, Anna (2012): „Ich trinke aus zwei Flüssen“. Zur Logik transkultureller Prozesse bei christlichen Achuar und Shuar im oberen Amazonien. Stuttgart: Kohlhammer.

Kontakt:
Prof. Dr. Anna Meiser
Institut für Ethnologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-3583
E-Mail: anna.meiser@ethno.uni-freiburg.de

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