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Überleben dank maßgeschneidertem Blut

ResuSciTec verbessert die Wiederbelebung nach Herz-Kreislauf-Stillstand

Freiburg, 14.06.2017

Überleben dank maßgeschneidertem Blut

Foto: Universitätsklinikum Freiburg

ResuSciTec rettet Leben. CARL, das einzigartige Gerät der Ausgründung aus dem Universitätsklinikum Freiburg, verbessert die Chancen, einen akuten Herz-Kreislauf-Stillstand zu überstehen – noch dazu ohne ernste Schäden. Bisher sterben rund neun von zehn Betroffenen.

Für den Einsatz im Notfall: Die Ausgründung ResuSciTec hat ein Gerät entwickelt, das die Überlebenschancen bei Herz-Kreislauf-Stillstand erhöht.
Foto: Universitätsklinikum Freiburg

Schon nach drei Minuten Herz-Kreislauf-Stillstand drohen bleibende Hirnschäden. Nach fünf Minuten sinken die Überlebenschancen rapide. „Wenn sich der Stillstand im Klinikum ereignet, überlebt durchschnittlich einer von fünf Betroffenen", sagt Prof. Dr. Friedhelm Beyersdorf. Fast die Hälfte der Überlebenden erleidet aber schwere Hirnschäden, fährt der Ärztliche Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des Universitäts-Herzzentrums Freiburg – Bad Krozingen fort. Auf seine Initiative hin entstand 2012 das Start-up ResuSciTec http://www.resuscitec.de/. Tritt der Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb von Kliniken ein, sterben 97 von 100 Patienten. Ohne neurologische Schäden kommt nur einer davon.

CARL übertrifft alle Erwartungen

Im Jahr 2014 behandelten Beyersdorf und seine Kolleginnen und Kollegen zum ersten Mal Patientinnen und Patienten mit CARL. So heißen das Verfahren der „kontrollierten automatischen Reperfusion des ganzen Körpers" und die mobile 20-Kilogramm-Maschine, die es vollbringt. Von den zehn Personen, deren Herzen außerhalb einer Klinik stehen blieben, überlebten sechs – alle ohne Hirnschäden. Ein Überlebender war erst nach 151 Minuten Herzdruckmassage im Universitätsklinikum angekommen. „Dass so jemand überhaupt wieder auf zwei Beinen die Klinik verlässt", staunt der Herzspezialist noch heute: „Das hatten wir nicht erwartet." Über Jahrzehnte waren die niedrigen Überlebenszahlen unverändert geblieben. Dabei sind akute Herz-Kreislauf-Stillstände keine Seltenheit: Bis zu 200.000-mal jährlich hören Herzen in Deutschland plötzlich auf zu schlagen. Auslöser ist meist ein Herzinfarkt.

Individuell eingestelltes Lebenselixier

Zur Reperfusion oder Wiederdurchblutung dient bisher normales Blut. „Das eignet sich aber nur für normale, gesunde Körper", sagt Beyersdorf. Doch der Sauerstoffmangel nach einem Herzstillstand schädigt das Gewebe enorm. Bei ihm richtet normales Blut noch größeres Unheil an als die vorausgehende Sauerstoffnot. CARL kann Patienten zum ersten Mal mit angepasstem Blut versorgen. Der Apparat entzieht wie übliche Herz-Lungen-Maschinen den Patienten ihr Blut. Das reichert CARL an, und zwar nicht nur mit Sauerstoff. Die Maschine erkennt den Gesundheitszustand an bestimmten Blutwerten, misst bis zu elf Parameter in Echtzeit und stellt ihr Blut optimal ein. Die Patienten erhalten ein individuell eingestelltes Lebenselixier zurück.

Der Herzspezialist Friedhelm Beyersdorf hat das Start-up ResuSciTec initiiert.
Foto: Universitätsklinikum Freiburg

Ein Bündel neuer Fähigkeiten

„CARL ist eine ganz neue Sorte von Gerät", betont Beyersdorf. Es kann noch mehr, was bislang unmöglich war. „Bei der ersten Wiederdurchblutung muss der Druck sehr hoch sein", sagt Beyersdorf. Den schafft CARL mit zwei Pumpen, und die bauen sogar eine Pulswelle auf, ein Auf und Ab beim Druck. „Das brauchen die Gefäßzellen in Gehirn", erklärt Beyersdorf. CARL überwacht den Druck im Blut ständig. Die Sauerstoffversorgung erledigt der Apparat weitgehend mit Raumluft. Eine integrierte Kühleinheit senkt zum Schutz aller Zellen die Körpertemperatur der Patienten in 30 Minuten um drei bis vier Grad – fast zehnmal schneller als übliche Apparate.

Anfangs stockte der Fortschritt

Bis CARL gut funktionierte, waren mehr als zehn Jahre Forschung nötig. Das Projekt ging stockend voran, sagt Beyersdorf. Mal fehlte Personal, mal passende Räume, mal was anderes. Allerdings hielten die Beteiligten regelmäßig Vorträge. „Plötzlich bemerkten wir, dass andere Forscherinnen und Forscher begannen, uns nachzuahmen", erzählt Beyersdorf: „Das fehlte uns noch." Um den Vorsprung zu halten, auszubauen und nutzen zu können, brauchte das Projekt neuen Schwung und Mittel. Der Herzspezialist regte eine Ausgründung an, die fast gescheitert wäre: „Die ersten zwei von drei Anläufen gingen in die Hose."

Aller guten Dinge sind drei

Zuerst versuchte ein Unternehmen für Risikokapital, die Ausgründung an sich zu reißen. „Uns gab es in deren Plänen gar nicht mehr", sagt Beyersdorf. Als nächstes habe ein eigens eingestellter, international anerkannter Experte potenzielle Geldgeber durch seine überraschende Inkompetenz vergrault. Seit dem dritten Vorstoß sitzen das Umkircher Medizintechnikunternehmen KLS Martin GmbH & Co. KG und der Zukunftsfonds Heilbronn mit im Boot. Bei der Ausgründung sei Prof. Dr. Bernhard Arnolds, der die Zentralstelle für Technologietransfer der Universität Freiburg leitet, eine große Hilfe gewesen, sagt Beyersdorf: „Jetzt läuft es sehr gut." Er hat ResuSciTec mit dem Herzchirurgen Privatdozent Dr. Georg Trummer und Kardiotechniker Prof. Dr. Ing. Christoph Benk aufgebaut: „Wir haben generell ein Riesenglück mit unseren Mitarbeitern und Kooperationspartnern."

Marktpremiere für 2018 geplant

Inzwischen steht ResuSciTec prächtig da: CARL besitzt weltweit Patentschutz. Alle Grundlagen sind durch eigene Experimente abgesichert. Für den Schritt auf den Markt fehlen noch die europäische CE-Zulassung und eine große Patientenstudie an mehreren europäischen Kliniken. „Dann können wir daran denken, unser Gerät zu verkaufen", sagt Beyersdorf. 2018 soll es soweit sein. Bis dahin wird die Entwicklung knapp 16 Millionen Euro gekostet haben. Ein Klacks angesichts der vielen Leben, die CARL retten könnte. Das findet auch Friedhelm Beyersdorf und denkt gleich noch an dem Forschungsstandort Südbaden: „Es wäre fantastisch, wenn wir die Zahlen der Überlebenden um 100 bis 200 Prozent verbessern könnten – mit der ‚Freiburger Wiederbelebungs-Methode'!"

Jürgen Schickinger