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Erst einen Muffin, dann die Modalverben

Beim Sprachcafé helfen sich Studierende und Geflüchtete gegenseitig bei ihren Hausaufgaben

Freiburg, 03.08.2017

Erst einen Muffin, dann die Modalverben

Foto: Thomas Kunz

Rechtschreibung, Grammatik, Artikulation: Wer eine fremde Sprache lernt, muss viel Ausdauer und Einsatz unter Beweis stellen. Leichter wird es, wenn Freundinnen und Freunde beim Vokabelbüffeln helfen. Das ermöglicht die studentische Initiative „Sprachcafé“, ein Projekt der Fachschaft Islamwissenschaft der Universität Freiburg und der Organisation „Start with a Friend“. Das Sprachcafé richtet sich an alle Studierenden und Geflohenen und bietet ihnen ein Forum zum Austausch beim Lernen von Sprachen sowie zum Kennenlernen der unterschiedlichen Kulturen.


Kann jemand mal das Plusquamperfekt erklären? Paulina Steinhilber betreut das Sprachcafé. Foto: Thomas Kunz

Für ein Café ist der Konferenzraum des AStA an der Belfortstraße etwas nüchtern, aber Paulina Steinhilber bringt schnell ein wenig Gemütlichkeit auf den Tisch: Obst, Kaffee, Kekse und eine riesige Schüssel mit Himbeermuffins. „Ich backe inzwischen zweimal pro Woche“, sagt die Studentin der Islamwissenschaft und lacht. Jeden Dienstag und Donnerstag findet das Sprachcafé statt, und Steinhilber kümmert sich um die Organisation.

Auch Nour Salameh sitzt schon parat. „Ich komme nur wegen der Muffins“, bemerkt er mit einem Augenzwinkern. Er ist vor neun Monaten aus Aleppo/Syrien nach Deutschland gekommen. Der studierte Ingenieur will hier eine Ausbildung als Mechaniker anfangen. „Das Sprachcafé ist für mich sehr wichtig“, sagt er, denn er müsse schnell Deutsch lernen. Wichtig ist ihm aber auch, neue Leute kennenzulernen und gemeinsam etwas zu unternehmen. „Es heißt zwar Sprachcafé, aber es geht nicht nur um Sprachen. Wir wollen auch unsere unterschiedlichen Kulturen kennenlernen“, erklärt Steinhilber die Grundidee des Projekts, während sie Kaffee in eine Thermoskanne gießt. Die Gruppe hat schon Ausstellungen besucht, gemeinsam gegrillt und sogar einen Ausflug zum Bodensee unternommen.

2.200 Tandems bundesweit

Inzwischen füllt sich der Raum. Mohammad Kaboul und Muthama Al-Darwish verschwinden ziemlich schnell hinter Steinhilbers Laptop – Recherche für die Hausaufgaben. „Ich weiß nie, wie viele kommen und was passiert“, sagt sie gelassen. „Ich habe gelernt, dass es am besten ist, die Dinge einfach laufen zu lassen. Irgendwie geht es immer.“ Die Studentin ist im Sprachcafé das Bindeglied zwischen der Fachschaft Islamwissenschaft der Universität Freiburg und der Initiative Start with a friend. Gemeinsam haben sie das Sprachcafé auf die Beine gestellt.

Grundprinzip von Start with a friend ist es, Tandem-Partnerschaften zwischen Deutschen und Geflüchteten zu vermitteln. Dafür gibt es ein Computerprogramm, das Partner zusammenbringt, die möglichst viele Gemeinsamkeiten haben. Auch Hanno Dihle, Regionalleiter bei Start with a friend, schaut kurz im Café vorbei. Viel Zeit hat er nicht. Die Initiative ist bundesweit aktiv, und er ist zurzeit dabei, neue Standorte aufzubauen. In Baden-Württemberg sind das aktuell Stuttgart, Mannheim, Tübingen und Landau. 2.200 Tandems gibt es bereits bundesweit. „Wir bieten auch eine Ausbildung für ehrenamtliche Vermittlerinnen und Vermittler an“, erzählt er. Zu diesen „Befriendern“ gehört auch Steinhilber.

Theresa Hoffmann hat sich inzwischen mit Mouath Isharboutly am Tisch niedergelassen. Gemeinsam wühlen sie sich durch Texte, in denen viele Lücken eingelassen sind – dort fehlen die Verben. Isharboutly übt gleich mal: „Ich ergreife Maßnahmen, um an der Universität zu studieren“, sagt er und lacht. Er möchte Ethnologie studieren. Im September 2017 steht seine Sprachprüfung an, Niveau C1. „Wer kann hier mal das Plusquamperfekt erklären?“, ruft Steinhilber durch den Raum. Gar nicht so einfach, stellen die deutschen Studierenden fest.

Frust loswerden und fröhlich bleiben

Kaboul und Al-Darwish versuchen inzwischen, Steinhilber zu helfen. „Ich muss eine Hausarbeit über Transsexualität im Islam schreiben“, sagt sie. Dafür suchen die beiden Syrer im Internet nach Texten eines Imams aus Ägypten, der zu dem Thema Stellung genommen hat. „Im Koran steht ja nichts über Geschlechtsumwandlung“, erklären sie, deshalb würden in der islamischen Welt auch solche Texte herangezogen. Die beiden gehen in Emmendingen in eine Flüchtlingsklasse. Von hinten flüstert Hayyan Salman Kaboul etwas ins Ohr. Der lacht. „Hayyan hat mich korrigiert.“ Es heiße nicht „wir treffen mit Freunden“, sondern „wir treffen uns mit Freunden“. Salman hat die hohen Sprachhürden überwunden und studiert jetzt Volkswirtschaft. Im Sprachcafé hilft er seinen Landsleuten, aktuell unterstützt er aber Jana Hahn bei der Übersetzung eines arabischen Textes über Frauenrechte. Zwischendurch reden sie auch viel über andere Dinge. Für die jungen Syrer gibt es im deutschen Alltag vieles, woran sie sich gewöhnen müssen.

Jeden Dienstag und Donnerstag trifft sich die Gruppe zum Lernen und Diskutieren – und unternimmt auch mal einen Ausflug. Foto: Thomas Kunz

Hashem Atfeh zum Beispiel möchte gerne eine Ausbildung als Physiotherapeut anfangen, dafür braucht er ein Praktikum. Er findet aber keins: Da er kein eingeschriebener Student ist, müssten ihm Arbeitgeber den Mindestlohn zahlen. Jetzt hat er bei der Badenova einen Praktikumsplatz bekommen. „Wir müssen sehr viel Geduld haben“, sagt er und trommelt lachend mit den Fingern auf dem Tisch. Im Jobcenter könnten die Geflüchteten auch keine sofortige Hilfe erwarten, denn die wenigen Mitarbeiter seien dort völlig überlastet. „Wir sind diese Bürokratie in Syrien nicht gewöhnt“, erklärt Salman. Er selbst ist froh, dass er endlich ein Zimmer in einer WG aufgetan hat. „Ich habe versucht, anderen Geflüchteten zu helfen, eine Wohnung zu finden“, erzählt Hahn, aber wenn die Vermieter dann begriffen hätten, dass nicht sie einziehen will, sondern ein Geflüchteter, hätten sie immer einen Rückzieher gemacht. Im Sprachcafé haben die jungen Leute die Möglichkeit, ihren Frust loszuwerden, aber die Stimmung ist trotzdem entspannt und fröhlich. Weibliche Geflüchtete sind heute keine da. Das findet Steinhilber schade. „Es kommt immer mal wieder eine, aber Frauen sind einfach viel stärker in ihre Familien eingebunden. Vielleicht scheuen sie sich auch, weil hauptsächlich Männer da sind.“

Seit April 2017 fördert der Deutsche Akademische Austauschdienst das Sprachcafé. Das gibt dem Team die Chance, ein Frauenprojekt an den Start zu bringen – ein Café nur für Frauen. „Wir sind insgesamt sehr froh über die Förderung, denn hier soll keiner etwas zahlen müssen“, betont Steinhilber. Ab Herbst 2017 werden übrigens ihre Kommilitoninnen Theresa Hoffmann und Lena Kranz die Organisation des Sprachcafés übernehmen. Steinhilber geht dann für ein Jahr zum Studium in den Iran.

Petra Völzing

 

Mitmachen

Das Sprachcafé findet dienstags von 16 bis 18 Uhr in Raum 3101, Kollegiengebäude III, und donnerstags von 14.00 und 16.00 Uhr in der Belfortstraße 24 statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen; eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Von Anfang September bis zum Beginn des Wintersemesters im Oktober 2017 macht das Sprachcafé Ferien.

E-Mail:

Sprachcafé
www.start-with-a-friend.de/standorte/freiburg/sprache-lernen