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Gut gematcht

Beim Verein „Rock Your Life!“ begleiten Studierende zwei Jahre lang Schüler bis zum Schulabschluss und ihrem Start ins Berufsleben

Freiburg, 18.06.2018

Gut gematcht

Foto: Thomas Kunz

Selbstvertrauen stärken, Talente entfalten, Lebensperspektiven entwickeln: Knapp 70 Studierende engagieren sich ehrenamtlich in der Freiburger Gruppe des Vereins „Rock Your Life!“ – mit dem Ziel, die beruflichen Chancen für sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler zu erhöhen.

Ein Fall für drei: Tolughan Akis (rechts) und Janek Weber sind seit knapp zwei Jahren ein Team. Stefanie Lorenz steht den Tandems als Ansprechpartnerin zur Verfügung.
Foto: Thomas Kunz

Tolughan Akis ist begeistert. Eben war der 16-Jährige zum ersten Mal in der Freiburger Universitätsbibliothek (UB). Die Drehsessel, die großen Fenster, der Blick über den Platz. „Das ist voll chillig da drinnen“, sagt er grinsend. „Bestimmt gut zum Lernen.“ Janek Weber, 26 Jahre, hatte den Neuntklässler von der Vigeliusschule mit in die UB genommen, weil er vor dem gemeinsamen Eisessen noch schnell ein Buch abgeben musste. Jetzt sitzen die beiden auf einer der Betonwellen vor dem verspiegelten Bau, schauen Videos auf Tolughans Handy und lachen. Man könnte sie für Freunde halten – auch wenn zehn Lebensjahre und denkbar unterschiedliche Alltagserfahrungen sie voneinander trennen.

Tatsächlich kennen sich Janek, der Lehramtsstudent mit Tattoos und Vollbart, und Tolughan, der Werkrealschüler mit einem Faible für schnelle Autos, der von einer Karriere als KFZ-Mechaniker träumt, seit knapp zwei Jahren. Gefunden haben sie sich bei einem Treffen des Vereins „Rock Your Life!“ in Freiburg, der Studierende mit Schülern der achten und neunten Klassen aus der Vigelius-Gemeinschaftsschule und der Albert-Schweitzer-Werkrealschule zusammenbringt. Die Älteren sollen die Jüngeren dabei unterstützen, während der letzten beiden Schuljahre eine Perspektive für ihr Leben zu entwickeln.

30 Tandems in Freiburg

Gegründet wurde „Rock Your Life!“ 2008 von ein paar Studierenden der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Nach einer Podiumsdiskussion über mangelnde Bildungsgerechtigkeit und die hohen Hürden für soziale Mobilität in Deutschland wollten sie selbst etwas bewegen. Mittlerweile gibt es „Rock Your Life!“ an mehr als 50 Hochschulstandorten in Deutschland, seit Kurzem auch in Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. Die Freiburger Gruppe, die 2010 ihre Arbeit aufnahm, zählt aktuell knapp 70 ehrenamtliche Mitglieder. In Teams kümmern sie sich um die Pressearbeit, das Einwerben von Spenden, den Kontakt zu lokalen Unternehmen sowie die Schulung und Betreuung der studentischen Mentorinnen und Mentoren sowie ihrer jugendlichen Mentees. Rund 30 Tandems gibt es derzeit.

Das Projekt zielt auf die Verbesserung beruflicher Chancen für sozial benachteiligte Schüler ab. „Wir wollen den Jugendlichen Selbstvertrauen geben und ihnen helfen, ihre Talente zu entfalten“, sagt Weber, der ehrenamtlich als Mentor tätig ist und sich zugleich den Vorsitz des Vereins mit Marcel Seeßle teilt. Der 26-jährige Zahnmedizinstudent weiß, dass nur wenige Kinder aus bildungsfernen Familien den Sprung in den Hörsaal schaffen. Vielen fehle in ihrem direkten Umfeld eine Vertrauensperson, mit der sie über ihre Bedürfnisse und Probleme reden könnten. „Anders als zu ihren Eltern oder Lehrern haben die Jugendlichen zu uns oft ein entspanntes Verhältnis“, sagt Seeßle, „da fällt es leichter, sie zu motivieren.“

Tolughan hat gefallen, was er bei einer Präsentation von „Rock Your Life!“ in seiner Schule gehört hat: das klar definierte Coaching, das dazu dient, die eigenen Ziele zu finden und sie umzusetzen; der verbindliche Austausch und die Freizeitaktivitäten mit Erwachsenen, die ähnlich cool sind, wie man selbst; ein offenes Ohr, wenn’s mal gerade nicht so gut läuft. Deshalb meldete sich Tolughan zum „Matching“ an, einer Art Speeddating, bei dem sich Schüler und Studierende jeweils ein paar Minuten unterhalten und am Ende dann die Jugendlichen ihre Mentoren wählen, die sie auf ihrem Weg bis zum Schulabschluss und ins Berufsleben begleiten werden. Nicht selten entwickeln sich aus diesen Tandems Freundschaften, die über das Ende des zweijährigen Programms hinausreichen. Das ist kaum verwunderlich, denn oft sind es zentrale Fragen der Identitätsfindung, die hier zur Sprache kommen: Wer bin ich? Was liegt mir? Wo will ich hin? Darüber zu reden schafft Nähe und Vertrauen, erfordert von den Mentoren aber auch viel Fingerspitzengefühl.

Bewerbung per Video

Damit die Beziehungen zwischen Mentoren und Mentees zum gewünschten Erfolg führen, werden die Tandems von Betreuerinnen wie Stefanie Lorenz begleitet. „Wir stehen beiden als Ansprechpartner zur Verfügung“, sagt die 22-jährige Lehramtsstudentin. „Wenn es Probleme gibt, dann klären wir die gemeinsam.“ Entsprechend gering ist die Abbrecherquote. Darüber hinaus kümmert sich Stefanie Lorenz auch um Mentees wie Lana Younes, deren Mentorin derzeit ein Auslandssemester macht. Die 16-Jährige kam 2014 aus Syrien nach Deutschland und besucht heute die Gymnasialklasse an der Staudinger-Gesamtschule. Ein Lehrer hatte sie auf „Rock Your Life!“ aufmerksam gemacht. Weil der Verein an ihrer Schule nicht aktiv war, schickte sie eine Initiativbewerbung per Video. „Ich war sehr schüchtern und konnte kaum Deutsch“, sagt sie, „aber ich wusste schon damals, dass ich Ärztin werden will – und dass ich Unterstützung brauche, um diesen Traum zu verwirklichen.“ Die bekam sie. Ihre Mentorin nahm sie mit in eine Anatomievorlesung und half ihr später, einen Praktikumsplatz an der Universitätsklinik zu finden. Übrigens: Nicht zuletzt dank Lanas Eigeninitiative bietet „Rock Your Life!“ nun auch an der Staudinger-Gesamtschule ein Mentoringprogramm an.

Dietrich Roeschmann

www.rockyourlife.de/freiburg