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Jung, laut, schnell

Was „Fridays for Future“ von anderen Umweltbewegungen unterscheidet ist das Alter der Demonstranten – und ihre Fähigkeit, sich rasch zu mobilisieren

Freiburg, 13.08.2019

Zwar sind gerade Sommerferien, doch soziale Bewegungen pausieren nicht. Es tut sich etwas in der Umweltbewegung, findet die Freiburger Historikerin Dr. Birgit Metzger: Ausgerechnet die lange als unpolitisch gebrandmarkte Jugend habe für neuen Auftrieb gesorgt. Die Initiative Fridays for Future setzt sich nicht allein für einen nachhaltigen Lebensstil ein, sondern stellt auch politische Forderungen, vor allem nach der Einhaltung des Übereinkommens von Paris. Annette Hoffmann hat mit Metzger über die Klimafrage, das Verhältnis von sozialen Bewegungen zu Parteien und politisierte Eltern gesprochen.


Die Initiative Fridays for Future hat ein junges Gesicht – doch bis in die 1970er Jahre war der Umweltschutz vor allem vom Engagement alter Männer geprägt. Foto: Mika Baumeister/Unsplash

Frau Metzger, Sie haben Ihre Dissertation über das Waldsterben geschrieben. Erleben Sie gerade so etwas wie ein Déjà-vu?

Birgit Metzger: Ja, in mehrfacher Hinsicht. Vor gut drei Wochen wurde das „Waldsterben 2.0“ ausgerufen. Wenn es um den Wald geht, wird in Deutschland gerne das kollektive Gedächtnis bemüht. Die Debatte über die Umwelt ist nicht neu, seit den 1970er Jahren haben wir es mit globalen Problemen zu tun. Auch beim Waldsterben ging es um Emissionen, die durch Energieerzeugung, Industrie und Verkehr entstanden. Wir sind heute allerdings weit davon entfernt, die Grundfrage, wie man moderne Industrie- und Konsumgesellschaften umweltverträglich gestalten kann, gelöst zu haben.

Wie fügt sich hier die Bewegung Fridays for Future ein?

In den vergangenen beiden Jahren hat die Umweltbewegung einen neuen Schub bekommen, die Debatte wird nicht allein in den Medien und im Parlament geführt. Es gab die Proteste gegen die Abholzung des Hambacher Forstes und in Bayern das erfolgreiche Referendum für den Artenschutz. Und die Grünen schneiden derzeit bei Wahlen und Umfragen gut ab. An Fridays for Future ist neu, dass sich vor allem junge Leute engagieren. Das war nicht immer so. Der Umweltschutz war lange von alten Männern geprägt, erst in den 1980er Jahren wurden Jugendverbände gegründet. Der Grad der Mobilisierung, wie er in den 1970er und 1980er Jahren mit der Friedens- und der Anti-Atomkraftbewegung zu sehen war, ist jedoch bislang noch nicht erreicht. Soziale Bewegungen brauchen ein langfristiges Ziel und zugleich kurzfristige Anlässe.

Was zeichnet eine soziale Bewegung überhaupt aus?

Es ist eine Form von Politik, die außerhalb der etablierten Parteien und Verbände stattfindet; die sich von unten formiert, lose organisiert ist und eine geringe Spezifizierung aufweist. Eine soziale Bewegung zielt darauf ab, gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen oder zu verhindern.


„Soziale Bewegungen brauchen ein langfristiges Ziel und zugleich kurzfristige Anlässe“, sagt die Historikerin Birgit Metzger. Foto: Thomas Kunz

Wie wird eine soziale Bewegung zur Jugendbewegung?

Was man über die Politisierung der Jugendlichen weiß, ist, dass sie über die Peer-Group geschieht. Erste Erhebungen zu Fridays for Future zeigen, dass mehr als 50 Prozent der Protestierenden zwischen 14 und 19 Jahre alt sind, ein Teil ist Anfang 20. Seit Jahren zeichnet sich ein Politisierungstrend unter den Jugendlichen ab. Die jetzigen Demonstrationen sind also nicht ganz überraschend. Die Protestforschung sagt, dass es eine gewisse ökonomische und soziale Sorglosigkeit als Voraussetzung für politisches Engagement brauche. Dieser These liegt die Annahme eines Postmaterialismus zugrunde. Mich überzeugt das aber nicht ganz, denn auch Umwelt oder Frieden wirken sich materiell aus. Ein großer Unterschied zu den 1980er Jahren ist, dass die Mobilisierung viel schneller und einfacher geht. Das hat Vor- und Nachteile. Protestbewegungen entstehen schnell, können aber auch wieder schnell abebben. Das konnte man etwa an der Occupy-Bewegung vor einigen Jahren beobachten. Zudem ersetzen soziale Medien nicht die tatsächlichen Begegnungen. Die Jugendlichen kommunizieren viel über Chats, sie müssen sich aber auch treffen – wie jetzt beim großen Sommercamp in Dortmund. Medienhistorisch ist das typisch: Es kommt etwas Neues hinzu, das Alte verschwindet aber nicht.

Teilen Sie die Vorwürfe, dass die Schülerinnen und Schüler nur den Unterricht schwänzen und für Klassenfahrten dann doch das Flugzeug besteigen?

Der Protest hat als Schulstreik begonnen, doch die Schüler streiken ja nicht ununterbrochen während der Schulzeit. Der Schulstreik war ein gutes Mittel, um Aufmerksamkeit zu bekommen und die Ernsthaftigkeit zu betonen. Genau das wird dann gegen die Schüler verwendet. Bei der Umweltdebatte geht es um eine individuelle und eine politische Haltung. In den vergangenen Jahren standen der individuelle Konsum und der eigene Lebensstil sehr im Vordergrund. Letztlich ist es aber eine politische Frage. Man macht es sich zu leicht, Leute zu delegitimieren, indem man ihnen vorhält, nicht konsequent zu sein.

Bei der Debatte um das Waldsterben haben die Medien eine gewisse Rolle gespielt. Wiederholt sich das heute?

Die Medien sind extrem wichtig. Sie greifen Protestthemen gern auf. Was die Umweltbewegung angeht, sind sie oft Sympathisanten. Letztendlich strukturieren die Medien Debatten, sie sind in der Lage, bestimmte Themen in den Vordergrund zu rücken. In den Medien werden gerne Personalisierungen verwendet, doch der Bewegung wird dies nicht gerecht, weil sie sehr basisdemokratisch aufgestellt ist.


Bündnis der Generationen: Eltern unterstützen den Protest ihrer Kinder – und werten deren politischen Einsatz als Zeichen der guten Erziehung. Foto: Markus Spiske/Unsplash

Ist bei der Klimafrage nicht ein Zusammenschluss zwischen den Generationen wichtig?

Das passiert bereits. Eltern werden mitpolitisiert. Die meisten begrüßen den Protest ihrer Kinder und werten dies als Erfolg ihrer Erziehung. Brückenschläge sind für soziale Bewegungen wichtig, sie müssen aber gut gewählt sein. Der Umweltschutz ist politisch sehr heterogen. Bis in die 1960er Jahre zum Beispiel war er eher konservativ, zum Teil völkisch geprägt. Man muss sich gut überlegen, welche Bündnisse passen, und es ist wichtig, eine Form von Unabhängigkeit zu bewahren, da die Bewegung sonst ihren kritischen Stachel verliert.

Wäre es für Parteien nicht eine gute Strategie, sich zu verjüngen, indem sie die Proteste ernst nehmen?

Auf jeden Fall. Historisch gesehen haben soziale Bewegungen immer etwas mit Parteien gemacht. Es gibt immer Aktivistinnen und Aktivisten, die zu dem Schluss kommen, dass man über die parlamentarische Demokratie politische Entscheidungen beeinflussen könne. Ein anderer Teil bleibt unabhängig.

Wie lautet Ihre Prognose für den Herbst?

Es wird weitergehen. Die Frage ist, wie und ob der Protest noch internationaler wird. Die nächste Streikwoche ist weltweit für September ausgerufen.