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Rocken mit Knarre und Gitarre

Die US-amerikanische Popmusik prägt die ganze Welt – doch was macht ihren Sound und Look aus?

Freiburg, 15.08.2018

Rocken mit Knarre und Gitarre

Foto: John Pratt/Unsplash

Ein Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untersucht ein junges musikalisches Genre: das Phänomen „Americana“, das vielfältige Stile wie Rock, Gospel und Blues verbindet. Dabei spielen nicht nur etablierte Größen wie Bob Dylan, Elvis Presley und Johnny Cash eine Rolle. Auch aktuellere Musikformen wie Hick Hop, eine Fusion aus Country und Rap, nehmen die Forschenden in den Blick.


Amerikanischer Hard-Rock: Mit geschminkten Gesichtern, Lederklamotten und aufwendigen Bühnenshows setzte die Band „Kiss“ in den 1970er Jahren neue Akzente. Foto: John Pratt/Unsplash

Einer lotet „Southernness“ und „Swamp Rock“ aus, ein weiterer beschäftigt sich mit der „American Opera“, der nächste knöpft sich die „Jewishness im Jazz“ vor, ein anderer kommt von der musikpädagogischen Seite, der nächste von der Heavy-Metal-Front und wieder ein anderer als ausgewiesener Bob-Dylan-Experte daher. Fest steht: Das Projekt „Americana: Ästhetik, Authentizität und Performance in der US-amerikanischen populären Musik“ ist kein einheitliches Feld, sondern ein breit gefächertes, eher zerklüftetes Terrain, dem die Forschenden sich im Laufe von drei Jahren nähern wollen.

Fünfzehn vorwiegend junge Wissenschaftler, die von Hochschulen zwischen Oldenburg und dem österreichischen Graz, zwischen Dortmund und Bayreuth stammen, sind an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Netzwerk beteiligt. Sie wollen herausfinden, was den Sound und Look von US-amerikanischer Populärmusik ausmacht. Neben der üblichen Forschungsarbeit stehen zweimal im Jahr gemeinsame öffentliche Workshops und Tagungen auf dem Programm.

Elvis Presley, Johnny Cash und Bob Dylan

Beim Kickoff in München ging es vor allem um die Frage, was Americana eigentlich sei, berichtet der Freiburger Musikwissenschaftler Dr. Knut Holtsträter, der das Projekt seit Herbst 2017 leitet. „Dabei kamen klare kulturelle Unterschiede zwischen Europa und den Vereinigten Staaten heraus. Insbesondere, dass der Rassismusdiskurs in den USA deutlich stärker ausgeprägt ist, als wir vermuteten.“ Beim zweiten Treffen in Freiburg hielt der Berliner Musikprofessor Peter Wicke einen Vortrag. „Er ist der ‚Pop-Papst‘, ein wandelndes Lexikon. Er hat die schwierige Frage, was populäre Musik eigentlich sei, knackig und streitbar auf den Punkt gebracht“, sagt der Mitarbeiter des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg.

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Walking in Memphis: Die Stadt gilt als Wiege von Soul, Blues und Rock’n’Roll – ein mythischer Ort für alle Musiker, die sich als authentisch zeigen wollen. Foto: PJ Szabo/Unsplash

Verbreitet als Genrebezeichnung sei der Begriff „Americana“ seit dem Jahr 2010, als die bedeutendsten US-amerikanischen Popmusikpreise, die „Grammys“, erstmalig in ebendieser Kategorie vergeben wurden. Denkbar sei der Begriff jedoch nicht ohne den amerikanischen Gründungsmythos der „Last Frontier“, der an die forsche Pionierattitüde des damals jungen Landes erinnert. Americana versammle viele Elemente und Stile bisheriger Genres. Musiker wie Hank Williams, Elvis Presley, Johnny Cash und Bob Dylan seien wichtige Figuren, sagt Holtsträter. „Auch Country, Blues oder Jazz sind uramerikanische Musikgattungen. Und wer sich mit Americana beschäftigt, kommt, so haben wir beim ersten Treffen gelernt, auch an der Gruppe ‚U2‘ nicht vorbei.“ Iren, wohlgemerkt – aber prägend für die US-Kultur. Hinzu kommen Aspekte wie die Inszenierung eines Künstlers als Outlaw, als Einzelgänger, gerne auch mit Knarre. „Das Genre bietet ein Dach für extremen Individualismus“, fasst der Musikwissenschaftler zusammen.

Mythische Orte der Musik

Klangliche Aspekte wie die Verwendung einer Slidegitarre oder von Halleffekten, die den Zuhörerinnen und Zuhörern den Eindruck von landschaftlicher Weite vermitteln sollen, spielen ebenso eine Rolle wie das Aufrufen von mythischen Orten der Populärkultur. Man denke nur an Nashville oder Memphis. Selbst in deutschen Kleinstauflagen von Schallplatten aus den 1960er und 1970er Jahren finde man den Hinweis „aufgenommen in Nashville“. „So als könne man den Nimbus des Ortes in die eigene Produktion übernehmen – als Garant für Authentizität“, erläutert Holtsträter. Inszenierte Americana sozusagen. Die Wissenschaftler konzentrieren sich allerdings nicht nur auf etablierte Größen vergangener Jahrzehnte. Sie untersuchen auch jüngere Phänomene wie beispielsweise Hick Hop, eine Fusion aus Country und Rap – „größtenteils frauenfeindlich und rassistisch“, so Holtsträter. „Hip Hop für Leute, die Trump wählen“.

Die Ergebnisse ihrer Forschung präsentieren die Forschenden des Americana-Netzwerks in einer öffentlichen Schlusstagung. Auch wenn diese erst im Frühjahr 2020 über die Bühne gehen wird – es verspricht, spannend zu werden. Und das trotz Holtsträters Einschränkung: „Es geht um den Prozess, nicht um das Ergebnis.“

Alexander Ochs

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