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Vertrauen in Politik und Medien

Forschende untersuchen, wie sich Verhalten und Ängste der Bevölkerung während der Pandemie verändern

Freiburg, 04.06.2020

Vor Corona schien alles möglich. Die Menschen konnten reisen, in Restaurants oder ins Kino gehen und sich ganz selbstverständlich per Handschlag begrüßen. Doch seit das Virus in der Welt ist, ist der Ausnahmezustand das neue Normal. Und selbst das verändert sich ständig in Abhängigkeit von Infektions- und Reproduktionszahlen. Wie die Menschen damit umgehen, fragen Forschende der Universität Freiburg sowie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität in Stuttgart derzeit online ab. Die Panel-Befragung, so der Plan, soll über ein Jahr und vier Wellen laufen. Bei jeder Welle werden dieselben Personen befragt, sodass es möglich ist, individuelle Veränderungen in Einstellungsmustern über die Zeit zu analysieren. Die erste Welle, die zwischen dem 7. und dem 17. Mai 2020 stattfand, hat bereits spannende Ergebnisse zu Tage gefördert – unter anderem, dass die Mehrheit der Deutschen die Maßnahmen zur Eindämmung von Sars-CoV-2 keineswegs für übertrieben hält.


Gesundheitliche Ängste, wirtschaftliche Belastung, aber Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen: So lautet ein entscheidendes Ergebnis der Umfrage. Foto: eldarnurkovic/stock.adobe.com

Gesundheitliche Ängste, wirtschaftliche Belastung, aber Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen: An der Albert-Ludwigs-Universität leiten Prof. Dr. Uwe Wagschal und Dr. Sebastian Jäckle vom Seminar für Wissenschaftliche Politik eine deutschlandweite Befragung, mit der sie über vier Zeiträume hinweg herausfinden wollen, wie die Menschen mit der Pandemie umgehen. Gemeinsam mit Teams der Universitäten in München und Stuttgart haben die Freiburger Politologen den Fragenkatalog aufgesetzt, erklärt Wagschal: „Thematisch hat allerdings jedes Team eigene Schwerpunkte gesetzt. Wir zum Beispiel legten den Fokus auf ökonomische und gesundheitliche Zusammenhänge.“

Knapp 8.000 Menschen nahmen an der Befragung teil. Einen großen Teil der Befragten rekrutierten die Forschenden aus dem Politikpanel Deutschland, das Wagschal seit der Bundestagswahl 2017 organisiert. Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden die Forschenden über Social Media-Kanäle und über Regionalzeitungen, die auf die Untersuchung aufmerksam machten. Mit der Teilnehmerzahl zeigen sich Wagschal und Jäckle sehr zufrieden. Die sei für eine Online-Umfrage hoch, und auch die Verteilung der Teilnehmenden nach Alter, Geschlecht und Parteineigung würde vergleichsweise gut derjenigen in der Wahlbevölkerung entsprechen. Der Online-Kanal habe bei einer Befragung zudem viele Vorteile, so Jäckle. Einer sei, dass bei Fragen, wo dies Sinn ergibt, über optische Vergleichsoptionen, beispielsweise mehrere Schieberegler, geantwortet werden könne: „So lassen sich Dinge abfragen, die in einem Telefon-Interview nicht möglich wären.“

Ängste wegen des Virus

Bei fast allen Menschen scheint angekommen zu sein, dass das Virus alles andere als harmlos ist – gesundheitlich, aber auch wirtschaftlich und sozial. Angst vor schweren Erkrankungen bei sich oder nahestehenden Personen haben 39 Prozent. 20 Prozent der Befragten fürchten sich vor einem starken Einbruch der Wirtschaft, 18 Prozent vor weniger demokratischen Rechten und 12 Prozent davor, ihre Lebensgewohnheiten einschränken zu müssen. An dem Virus kommt kaum einer angstfrei vorbei. Lediglich ein Prozent hat bei der Befragung „keine Angst“ angegeben. Die Menschen sind allerdings nicht überall gleichermaßen belastet. Vielmehr gibt es Regionen mit gefühlt hoher und solche mit einer geringer empfundenen Belastung. Interessant ist, dass die Belastung nicht unbedingt mit den Covid-19-Fallzahlen zusammenhängt. So fühlen sich die Menschen unter anderem in Mittelfranken und Sachsen-Anhalt sehr viel mehr belastet als im Süden Bayerns oder in Baden-Württemberg, wo die Ansteckungszahlen und Todesfälle viel höher waren.


Antworten der Teilnehmenden auf die Frage, wovor sie mit Blick auf die Pandemie am meisten Angst haben. Quelle: Politikpanel Deutschland
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Differenzierte Zustimmung

Ihn persönlich, sagt der Politologe Wagschal, habe überrascht, dass knapp 60 Prozent der Befragten mit den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus einverstanden seien. Corona-Proteste gebe es natürlich auch, diese fallen aber weniger durch Masse als durch mediale Präsenz auf. Nur 22 Prozent der Befragten hielten die Corona-Regeln für „nicht geeignet“. Und 17,1 Prozent meinten „teils teils“. Auch interessant ist, wie differenziert die Menschen in Deutschland die Maßnahmen im Umfragezeitraum bewertet haben: Grenzschließungen hielten 69,4 Prozent für richtig, die Schließung von Kitas und Schulen befürworteten 66 Prozent und Kontaktbeschränkungen außerhalb des eigenen Haushalts 64 Prozent. Was bei der Bevölkerung weniger gut ankam, ist der von Gesundheitsminister Jens Spahn zwischenzeitlich vorgeschlagene Immunitätsausweis für Personen, die die Krankheit überstanden haben. Dieser brachte es gerade Mal auf 32,7 Prozent Zustimmung.

Die Zahlen verraten allerdings noch mehr. Sie legen offen, wie unterschiedlich die politischen Milieus die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus bewerten. Bevor Wagschal ins Detail geht, spricht er von einer „ungewöhnlichen Polarisierung“: Ungewöhnlich deshalb, weil die FDP aus der Reihe der etablierten Parteien herausfalle. Von den Anhängerinnen und Anhängern der FDP bewerten 51,8 Prozent die Maßnahmen kritisch, bei der AfD sind es 73,5 Prozent. Bei den anderen Parteien sind die Unzufriedenen in der Minderheit: 14,7 Prozent sind es bei den Anhängern der Grünen, 12,2 bei der Union und 11,8 bei der SPD. Und selbst im Umfeld der Linken kommt die Maßnahmen-Kritik gerade mal auf knapp ein Fünftel. Dass die FDP-Anhänger sich von der Mitte entfernt haben, erklären die beiden Politikwissenschaftler mit der wirtschaftsliberalen Position der Partei: „Zu ihrer Wählerschaft gehören viele Selbstständige und freiberuflich Arbeitende, die die Anti-Corona-Maßnahmen in ihrem Wirtschaften zu sehr einengten.“

Vermögensabgabe für Reiche

Auf das Virus muss aber auch wirtschaftlich reagiert werden. Nur wie? Auch das fragten die Forschenden ab. Mehr als die Hälfte der Befragten, 51 Prozent, schlug vor, die Reichen über eine Vermögensabgabe zur Kasse zu bitten. Als weiteres Maßnahmenpaket nannten sie „staatliche Kredite“, Ausgabenkürzungen und Einkaufsgutscheine für alle. Was Wagschal nicht versteht, ist, warum der Verkauf staatlicher Goldreserven mit nur 10,8 Prozent auf so wenig Zustimmung stößt. In anderen Ländern, der Schweiz zum Beispiel, verkaufe man längst überschüssige Goldreserven: „Warum also nicht auch hier?“ Schließlich bilde man Rücklagen, um in Krisenzeiten darauf zugreifen zu können. Ein weiteres interessantes Detail, auf das die beiden Politikwissenschaftler aufmerksam machen: Rund 30 Prozent der Befragten gaben an, seit Corona mit weniger Geld auskommen zu müssen, was nicht weiter verwundern dürfte. Es gibt aber auch die anderen. Die, die von dem Virus finanziell profitieren - und das sind immerhin 10 Prozent.


Antworten der Teilnehmenden auf die Frage, welche Maßnahmen sie für sinnvoll halten, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie in Deutschland zu bekämpfen.
Quelle: Politikpanel Deutschland
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Unterschiedliche Informationsquellen

Sowohl Wagschal als auch Jäckle sind gespannt, wie die nächsten drei Befragungswellen ausfallen werden. „Im Vergleich mit anderen Ländern sind wir bislang vergleichsweise gut durch die Krise gekommen“, betont Jäckle. Das Institutionensystem habe schnell und gut reagiert. Noch hat die große Masse Vertrauen in die Politik und in die Medien. Aber auch hier treten Unterschiede auf: Während die Anhänger von CDU/CSU sowie von SPD und Grünen vor allem Zeitungen, öffentlich-rechtlichen Medien sowie den Websites des Robert-Koch-Instituts oder des Bundesgesundheitsministeriums trauen, ist das Vertrauen in sämtliche Informationsquellen bei AfD-Anhängern oder Protestlerinnen und Protestlern wie der neu gegründeten Gruppe „Widerstand 2020“ nur sehr schwach ausgeprägt. Am ehesten trauen sie noch Social Media und Internet-Blogs und damit gerade den Quellen, die die große Mehrheit der Bevölkerung für besonders wenig vertrauenswürdig einschätzt. „Wichtig ist, dass die Politik die Menschen auf dem Weg durch die Krise weiterhin mitnimmt“, so Jäckle. „Denn fehlt das Vertrauen, wird der Mensch empfänglich für Fake-News.“

Stephanie Streif