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Technisierung und Würde

Die erste Weiterbildung zur Medizinethik in Baden-Württemberg beschäftigt sich mit ethischen Fragen rund um Lebensbeginn, -verlauf und -ende

Freiburg, 21.02.2019

Die Medizin kann heute viel – Stichwort „CRISPR/Cas9“: So heißt die Genschere, mit der jüngst ein Forscher aus China zwei menschliche Embryonen gentechnisch verändert hat. Doch sind Designerbabys ethisch vertretbar oder wünschenswert? Die noch junge Disziplin Medizinethik widmet sich nicht nur Fragen wie diesen, sondern auch Themen wie Würde und Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten. Die Thales-Akademie, die Universität Freiburg und die Hochschule Furtwangen bieten ab April 2019 eine neue Weiterbildung dazu an. Hans-Dieter Fronz hat sich mit Dr. Philippe Merz, Leiter des Angebots, unterhalten.


Der hippokratische Eid gilt als Grundlage für jedes ethische Handeln von Ärzten – doch wie wirken sich Veränderungen im Gesundheitswesen auf ihr berufliches Selbstverständnis aus? Foto: BillionPhotos.com/stock.adobe.com

Herr Merz, worum geht es in der Medizinethik?

Philippe Merz: Das klassische Themenspektrum umfasst Konflikte, die zwischen dem Willen des Patienten, ärztlichem Selbstverständnis und Angehörigenwünschen entstehen, also etwa den assistierten Suizid, den Schwangerschaftsabbruch oder die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin. Heute fordern uns allerdings zunehmend die ethischen Konflikte bei der Mittelverteilung im Gesundheitswesen und bei der Technisierung der Heilberufe heraus.

Warum bieten Sie gerade jetzt ein Seminar zu diesem Thema an? Ist der Bedarf an medizinethischer Orientierung gestiegen?

Ja, das ist unsere Wahrnehmung. Vor allem drei Gründe sprechen dafür, eine solche Weiterbildung anzubieten. Erstens hat sich unsere Gesellschaft weltanschaulich immer stärker pluralisiert, sodass es immer unterschiedlichere Vorstellungen davon gibt, welche medizinischen Eingriffe ins Leben ethisch zu rechtfertigen sind. Zweitens hat sich das Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren immer stärker technisiert und vor allem digitalisiert. Big Data ist hier beispielsweise ein riesiges Thema: Wer darf sensible Patientendaten erhalten, und welche Anwendungen und Geschäftsmodelle sind damit schon heute möglich? Der dritte Grund: Das Gesundheitswesen hat sich dahingehend verändert, dass insbesondere der Betrieb von Kliniken potenziell sehr profitabel ist. Das hat nicht nur die Anreizstrukturen verändert, sondern auch das Arzt-Patient-Verhältnis sowie das von Ärztinnen und Ärzten zur Klinikleitung. Ärzte und Pflegekräfte fühlen sich zunehmend in ihrem beruflichen Selbstverständnis herausgefordert.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Angebot?

Zum einen möchten wir die philosophische und medizinethische Expertise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vertiefen, indem wir die Hintergründe bestimmter Konzepte beleuchten, an denen sich unser tägliches Handeln im Gesundheitswesen ausrichtet – also Selbstbestimmung und Patientenautonomie, Gerechtigkeit, ein würdevolles Sterben oder auch „Leistung“, etwa mit Blick auf die zunehmenden Enhancement-Möglichkeiten. Zum anderen wollen wir den Menschen Methoden der Entscheidungsfindung in ethischen Konflikten im Alltag vermitteln. Außerdem geht es darum, den Teilnehmern einen berufsübergreifenden Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, um einer zunehmenden Blasenbildung entgegenzuwirken. Daher richten wir uns bewusst an Ärzte, aber auch an Pflegekräfte, Klinikleitungen, Apothekerinnen und Apotheker oder an Menschen aus Medizintechnik- und Gesundheitsunternehmen.


Philippe Merz von der Thales-Akademie leitet das Einführungsseminar zu unterschiedlichen ethischen Argumentationsstrategien. Foto: Thomas Kunz

Wie sieht die Weiterbildung konkret aus?

Die Lehrenden kombinieren in den Seminaren Impulsvorträge mit Plenumsdiskussionen, Fallbeispielen und Rollenspielen. Es handelt sich also um unterschiedliche didaktische Formate, auch um die Themen alltagsnah und lebendig zu vermitteln. Wir haben dafür ausgewiesene Expertinnen und Experten aus Deutschland und der Schweiz gewinnen können, einige von ihnen sind auch Mitglied im Deutschen oder Schweizer Ethikrat.

Welche Themen werden angesprochen?

Einführend wird es um die philosophischen Grundlagen der Medizinethik gehen. Die darauf folgenden Seminare thematisieren die zunehmende Technisierung und Ökonomisierung, die ja eine unheimliche Dynamik entwickeln. Und dann werden diese Grundlagenseminare auf unterschiedliche Lebensphasen angewandt, in denen konkrete ethische Konflikte auftreten können – auf den Lebensbeginn, den Lebensverlauf und das Lebensende. Thema des achten und letzten Seminars sind Methoden ethischer Entscheidungsfindung und Konfliktlösung.

Und was ist Ihr Thema?

Ich leite das Einführungsseminar zu unterschiedlichen ethischen Argumentationsstrategien. Damit möchte ich ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sehr unsere ethischen Überzeugungen unsere Identität und damit auch unser berufliches Selbstverständnis und unser tägliches Handeln prägen.

 

Start im April 2019

Die berufsbegleitende Weiterbildung Medizinethik ist ein gemeinsames Angebot der Thales-Akademie für Wirtschaft und Philosophie, der Universität Freiburg und der Hochschule Furtwangen und schließt mit einem international anerkannten Certificate of Advanced Studies (CAS) ab. Interessierte können sich bis zum 1. März 2019 anmelden. Das Angebot ist mit dem Continuing Education Development Award 2017 – kurz CEDA –  ausgezeichnet worden. Der Preis wird vom Kooperationsprojekt „Weiter in Südbaden“ vergeben. An dem Vorhaben, dessen Federführung bei der Universität Freiburg und der Hochschule Furtwangen liegt, wirken acht Hochschulen aus der Region Oberrhein-Schwarzwald mit.

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