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Programmierbare Strukturen aus dem Drucker

Forschungsteam entwickelt neue Methode für den 3-D-Druck von Materialsystemen, die sich wie eine Kletterpflanze bewegen

Freiburg, 07.07.2021

Programmierbare Strukturen aus dem Drucker

Mithilfe des neuen Verfahrens hat das Team als ersten Prototyp eine Unterarmschiene produziert, die sich an die Tragenden anpasst und die für medizinische Anwendungen weiterentwickelt werden kann. Foto: Tiffany Cheng, ICD Universität Stuttgart

Forschende der Universität Freiburg und der Universität Stuttgart haben ein neues Verfahren entwickelt, um bewegliche, sich selbst-anpassende Materialsysteme im handelsüblichen 3-D-Drucker herzustellen. Die Systeme können unter dem Einfluss von Feuchtigkeit komplexe Formveränderungen durchlaufen, sich auf vorprogrammierte Weise zusammenziehen und ausdehnen. Bei der Entwicklung haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Bewegungsmechanismen einer windenden Kletterpflanze orientiert, der so genannten Luftkartoffel (Dioscorea bulbifera). Mithilfe der Methode hat das Team als ersten Prototyp eine Unterarmschiene produziert, die sich an die Trägerin oder den Träger anpasst und die für medizinische Anwendungen weiterentwickelt werden kann. Das Verfahren ist in einer Zusammenarbeit von Tiffany Cheng und Prof. Dr. Achim Menges vom Institut für computerbasiertes Entwerfen (ICD) und dem Exzellenzcluster Integratives und computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC) der Universität Stuttgart sowie Prof. Dr. Thomas Speck von der Plant Biomechanics Group und dem Exzellenzcluster Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) der Universität Freiburg entstanden. Ihre Ergebnisse präsentieren die Forschenden in der Fachzeitschrift Advanced Science.

4-D-Druck gibt Formänderungen vor

Der 3-D-Druck hat sich als Fertigungsverfahren für eine Vielzahl von Anwendungen etabliert. Mit ihm lassen sich auch intelligente Materialien und Materialsysteme erzeugen, die nach dem Druck noch beweglich sind und mittels eines äußeren Stimulus wie Licht, Temperatur oder Feuchtigkeit selbstständig ihre Form verändern. Dieser so genannte 4-D-Druck, mit dem sich eine durch einen Reiz ausgelöste Formänderung vorgeben lässt, erweitert das Anwendungspotenzial der Systeme immens. Möglich sind solche Formveränderungen durch die chemische Zusammensetzung der Materialien, die aus Stimuli-responsiven Polymeren bestehen. Allerdings sind die Drucker und Ausgangsstoffe, mit denen solche Materialien bisher produziert werden, meist hochspezialisierte und teure Sonderanfertigungen.

Mit handelsüblichen 3-D-Druckern lassen sich Materialien herstellen, die auf Änderungen der Luftfeuchtigkeit reagieren. Sie bestehen aus einer quellenden und einer stabilisierenden Schicht. Aufgrund ihres Aufbaus können diese Materialysteme sowohl Formveränderungen des Gesamtsystems als auch einzelner Teile durchlaufen. Die Forschenden der Universitäten Freiburg und Stuttgart kombinierten zwei reaktive Materialsysteme und konnte so einen komplexen Bewegungsmechanismus realisieren: Eine gewundene Struktur, die sich durch das Aufklappen von Drucktaschen fester zieht und die sich von selbst wieder lösen kann, wenn die Drucktaschen einklappen und die gewundene Struktur in einen offenen Zustand zurückkehrt.

Natürliche Bewegungsmechanismen auf Materialsystem übertragen

Für das neue Verfahren haben sich die Wissenschaftler einen Mechanismus aus der Natur zunutze gemacht: Die Luftkartoffel klettert an Bäumen hinauf, indem sie selbst Druckkraft gegen den Stamm der Wirtpflanze aufbringt. Hierfür windet sich die Pflanze zunächst lose um einen Baumstamm, um dann Nebenblätter, so genannte Stipulae, auszutreiben, die den Abstand zwischen der Kletterpflanze und dem Stamm der Wirtspflanze vergrößern. Dabei wird der windende Stamm der Luftkartoffel unter Spannung gesetzt. Um diese Mechanismen nachzuahmen, haben die Forschenden das Materialsystem modular aufgebaut: Seine Schichten sind so strukturiert, dass es sich in verschiedene Richtungen und in unterschiedlichen Graden biegen kann und sich so schraubig windet und eine Helix-Struktur bildet. Taschen auf der Oberfläche sorgen dafür, dass die Helix nach außen gedrückt wird und unter Spannung gerät, woraufhin sich das gesamte Materialsystem zusammenzieht.

„Bisher ist unser Verfahren noch begrenzt auf vorhandene Ausgangsmaterialien, die auf Feuchtigkeit reagieren“, sagt Achim Menges. „Wir hoffen“, ergänzt Thomas Speck, „dass künftig auch preiswerte Materialien für den 3-D-Druck verfügbar sein werden, die auf andere Stimuli reagieren und die für unser Verfahren ebenfalls zum Einsatz kommen können.“

Exzellenzcluster Living, Adaptive and Energy-autonomous Material Systems (livMatS)
Forscherinnen und Forscher entwickeln im Exzellenzcluster Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) der Universität Freiburg lebensähnliche Materialsysteme, die von der Natur inspiriert sind. Ähnlich wie lebende Strukturen werden sie sich autonom an unterschiedliche Umwelteinflüsse anpassen, saubere Energie aus ihrer Umgebung ernten und unempfindlich gegen Beschädigungen sein oder diese selbstständig heilen. Dennoch werden diese Materialsysteme rein technische Objekte sein, sodass sie sich mit synthetischen Methoden herstellen und unter extremen Bedingungen einsetzen lassen. Thomas Speck ist Mitglied des Sprecherteams des Exzellenzclusters.

Originalpublikation:
Cheng, T., Thielen, M., Poppinga, S., Tahouni, Y., Wood, D., Steinberg, T., Menges, A. & Speck, T. (2021). Bio-inspired Motion Mechanisms: Computational Design and 4D-printing of Self-adjusting Wearable Systems. In: Advanced Science, 8(13): 2100411. DOI: 10.1002/advs.202100411

Exzellenzcluster livMatS der Universität Freiburg

Exzellenzcluster IntCDC der Universität Stuttgart

Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Speck
Exzellenzcluster livMatS / Institut für Biologie II
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-2875
E-Mail:

Sonja Seidel
Wissenschaftskommunikation
Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS)
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/293-95361
E-Mail:

 

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Quelle: Tiffany Cheng, ICD Universität Stuttgart