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Studie belegt stärkere emotionale Erschöpfung von Mathematiklehrer*innen in der Corona-Pandemie

Langzeitstudie von Forscher*innen-Team um Freiburger Erziehungswissenschaftlerin Thamar Voss untersuchte Zeitraum von 2007-2022

Freiburg, 03.07.2023

Im Rahmen einer Langzeitstudie haben Forschende die Bedeutung der Corona-Pandemie für das berufliche Wohlbefinden von Mathematiklehrer*innen untersuchen können: Auf einer Skala von 1 bis 4 stieg die mittlere emotionale Erschöpfung der Lehrer*innen von 1,89 im Jahr 2019 auf 2,41 im Jahr 2021. Gleichzeitig nahm der Enthusiasmus für das Unterrichten im Mittel ab, und zwar von 3,52 in 2019 auf 3,21 in 2021. Diese Tendenzen konnten unter anderem durch gute technische Ausstattung an der Schule abgefedert werden, zudem spielte die individuelle Persönlichkeit eine Rolle bei der Betroffenheit. Durchgeführt wurde die Studie von Prof. Dr. Thamar Voss von der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg zusammen mit Prof. Dr. Uta Klusmann vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel, Nikolaus Bönke von der Universität Freiburg, Prof. Dr. Dirk Richter von der Universität Potsdam, und Prof. Dr. Mareike Kunter von der Universität Frankfurt. Erschienen ist die Studie in der Zeitschrift für Psychologie.

Studie Teil einer Langzeitbefragung von Mathematiklehrer*innen seit dem Referendariat

Die Autor*innen analysierten Daten aus sechs Befragungen, die im Zeitraum von 2007 bis 2022 stattfanden. Befragt wurden Mathematiklehrer*innen unterschiedlicher Schulformen, die ersten zwei Befragungen fanden 2007 und 2008 während ihres Referendariats statt, zwei weitere 2010 und 2019 und die zwei letzten während der Corona-Pandemie im Sommer 2021 und im Frühjahr 2022.

In den Befragungen wurden den Lehrer*innen Statements vorgelegt, zu denen sie sich auf einer Skala von 1 bis 4 positionierten. Erfragt wurde der Enthusiasmus für das Unterrichten (zum Beispiel: „Ich unterrichte mit Begeisterung“; „Es macht mir immer wieder Spaß, den Schüler*innen etwas beizubringen“) und die emotionale Erschöpfung (zum Beispiel: „Ich fühle mich bei der Arbeit oft erschöpft“; „Ich fühle mich von meiner Arbeit insgesamt überlastet“). In der ersten Befragung 2007 beantworteten die Mathematiklehrer*innen außerdem Fragen zu den Persönlichkeitsmerkmalen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. 2021, während der Pandemie, gaben sie zusätzlich Auskunft über die technische Ausstattung ihrer jeweiligen Schulen, die Unterstützung durch Rektor*innen, Zusammenarbeit mit Kolleg*innen, Unterstützung durch Eltern sowie aktuelle Schwierigkeiten im Umgang mit Schüler*innen.

Nicht alle der anfangs beteiligten Lehrer*innen beantworteten sämtliche Fragebögen über die gesamte Dauer der Erhebung hinweg. Während die Stichprobe 2007 aus 856 Referendar*innen bestand, nahmen 2022 noch 214 Lehrer*innen an der Befragung teil – die meisten sprangen bereits nach Ende ihres Referendariats 2010 ab. Indes blieb die Zusammensetzung der Gruppe in etwa gleich, was beispielsweise soziodemographische Variablen betrifft. Die Forschenden nutzten entsprechend die Daten von 2007 als Ausgangswerte und konnten mithilfe moderner statistischer Schätzverfahren fehlende Werte ersetzen.

Die Forschenden konnten zeigen, dass die Pandemie mit großen Einbußen im beruflichen Wohlbefinden der Lehrkräfte einherging. Während der Pandemie waren die Lehrkräfte 2021 im Vergleich zu den Vorjahren laut ihren eigenen Angaben im Mittel emotional erschöpfter und weniger enthusiastisch. Durch den langen Beobachtungszeitraum wird deutlich, dass der von den Befragten wahrgenommene Stress während der Corona-Jahre das normale Niveau aus den Vorjahren überstieg. Die Lehrer*innen berichteten auch von größerer Erschöpfung als während der ebenfalls herausfordernden ersten Berufsjahre. „Der viel zitierte ,Praxisschock‘ in der Berufseinstiegsphase zeichnet sich in unseren Daten zwar auch ab, im Vergleich zu dem „Corona-Schock“ ist der Effekt aber deutlich kleiner. Das war für uns überraschend“, so Voss.

Unterschiede je nach Arbeitsumfeld und Persönlichkeit der Befragten

Obwohl die Mittelwerte der gemessenen Emotionen einem klaren Trend folgen, variieren die Verläufe individuell zwischen Lehrkräften deutlich. Es zeigt sich, dass die Auswirkungen der Pandemie sowohl vom konkreten Arbeitsumfeld als auch von Persönlichkeitsmerkmalen abhängen. Lehrkräfte, deren Schulen über eine gute technische Ausstattung verfügten, gaben an, in der Pandemie weniger stark emotional erschöpft zu sein. Gleichzeitig nahm der Enthusiasmus für das Unterrichten ab und die Erschöpfung zu, wenn viele Schwierigkeiten im Umgang mit den Schüler*innen bestanden, so dass beispielsweise häufige Ermahnungen während des (digitalen) Unterrichts nötig waren.

Bei Lehrer*innen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit besonders offen gegenüber Neuem sind, zeigte sich eine geringere Zunahme der emotionalen Erschöpfung in der Pandemie. Stark extrovertierte Lehrer*innen waren dagegen vermehrt von einer negativen Veränderung des Wohlbefindens betroffen.

„Wie die Daten aus unserer Studie zeigen, war 2022 nach den pandemiebedingten Schulschließungen nur ein leichter Erholungseffekt bezüglich des beruflichen Wohlbefindens der Lehrkräfte zu beobachten. Daher ist Unterstützung von Seiten der Politik oder von Schulleitungen auch jetzt noch notwendig“, betont Voss. Die Forscher*innen werden die Studie fortführen, um der Frage nach der Erholung weiter nachzugehen.

 

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: Voss, T., U. Klusmann, N. Bönke, D. Richter, and M. Kunter: Teachers’ Emotional Exhaustion and Teaching Enthusiasm Before Versus During the COVID-19 Pandemic. In: Zeitschrift für Psychologie 2023 231:2, 103-114. DOI: 10.1027/2151-2604/a000520
  • Prof. Dr. Thamar Voss ist Bildungsforscherin und Professorin für Empirische Schul- und Unterrichtsentwicklungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Freiburg. Nikolaus Bönke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Empirische Schul- und Unterrichtsentwicklungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Freiburg.
  • Die Studie wurde durch den Innovations-Fond der Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert (DFG-Projektnummern 438654700, 470251387). Die Open Access-Publikation wurde durch die Universität Freiburg ermöglicht.

 

Kontakt:
Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-4302
E-Mail: kommunikation@zv.uni-freiburg.de