Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin erfinden & gründen Akku-Aufladen durch die Luft

Akku-Aufladen durch die Luft

Die Technologie des Start-ups Blue Inductive überträgt kabellos Strom über 20 Zentimeter Entfernung

Freiburg, 25.08.2017

Akku-Aufladen durch die Luft

Foto: morenosoppelsa/Can Stock Photo

Ob auf Parkplätzen, Abstellplätzen oder in Ladespuren auf der Autobahn: Mit der Technologie von Blue Inductive sind Elektrofahrzeuge in der Lage, über Nacht oder während der Arbeit ihre Akkus aufzuladen – ohne Einstöpseln oder direkten Kontakt.


Bei autonomen Fahrzeugen im Industrie- und Logistikbereich soll die neue Technologie der Firma Blue Inductive als erstes zum Einsatz kommen.
Foto: morenosoppelsa/Can Stock Photo

Freiburg-Malaga/Spanien mit dem Elektroauto ohne Ladestopp? Blue Inductive macht das grundsätzlich möglich. Die junge Firma, eine Ausgründung des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, baut Anlagen, die Akkus ohne Kabel und direkten Kontakt aufladen. Mit der Technologie könnten Elektrofahrzeuge auf Autobahnen über Ladespuren rauschen und ganz nebenbei Strom nachtanken. So ließen sich selbst die 2.000 Kilometer nach Malaga in einem Rutsch bewältigen. „Das ist Zukunftsmusik“, sagt Geschäftsführer Johannes Mayer. Das Start-up will zuerst mobile autonome Industrieroboter wie Gabelstapler oder Montageplattformen bedienen.

Ladepower für 10.000 Smartphones

Im Kern macht Blue Inductives etaLINK-Technologie das, was Induktionsherde und einige Ladestationen für Elektrozahnbürsten sowie kabellose Ladegräte für Smartphones tun: Über ein Magnetfeld wird Elektrizität übertragen, ohne dass Kabel nötig sind. „Es gibt bereits Systeme am Markt“, sagt Mayer, „aber mit viel geringerer Leistung.“ EtaLINK bringt es auf bis zu 20 Kilowatt (kW). Mit so viel Power lassen sich theoretisch 20.000 elektrische Zahnbürsten oder 10.000 Smartphones gleichzeitig laden – oder ein übliches Elektroauto in weniger als einer Stunde.

Außerdem kann etaLINK Strom durch die Luft übertragen: Spender und Empfänger können gut 20 Zentimeter voneinander entfernt sein. Das ist weit mehr als die Bodenfreiheit der meisten Autos. Gabelstapler und mobile Roboter liegen sowieso tiefer. Energie geht trotz des großen Abstands kaum verloren. „Unsere Systeme erreichen Wirkungsgrade bis zu 95 Prozent und liegen damit auf dem Niveau der besten kabelgebundenen Ladegeräte“, betont Florian Reiners, ebenfalls Geschäftsführer bei Blue Inductive: „Bei den Kosten haben Geräte mit Kabel die Nase noch vorne, aber sobald wir große Stückzahlen herstellen, wird sich der Preis angleichen.“

Strom fließt nur, wenn die Empfänger da sind

Anfang 2018 wird das erste Produkt in Serie gehen – ein 3-kW-System für Industrieroboter. Am Unterboden des Fahrzeugs wird eine etwa zwei Zentimeter dicke Empfangsspule im Format einer Schallplattenhülle installiert. Dazu kommt noch eine kleine Box mit der Ladeelektronik. Die Sendespule des stationären Gegenstücks ist ähnlich aufgebaut, die Elektronikbox etwa doppelt so groß, etwa wie ein Schuhkarton. Als erstes soll das System in Industrieanlagen zum Einsatz kommen, später auch auf Parkplätzen für Elektroautos. „Die stationären Einheiten erkennen, wenn sich ein mobiler Partner darüber befindet“, sagt Mayer. Nur dann überträgt sie kabellos Strom.


Kabel und Stecker zum Aufladen von Elektroautos könnten mit der etaLINK-Technologie von Blue Inductive langfristig nicht mehr erforderlich sein. Foto: estations/Fotolia

„Der Aufbau ähnelt einem klassischen Kabelladegerät, bei dem die Elektronik am Trafo auseinandergeschnitten ist“, erklärt Reiners. Er ist Ingenieur für Leistungselektronik wie zwei seiner Gründerkollegen – Johannes Tritschler und Benriah Goeldi. Sie leiten die Entwicklung der Hard- beziehungsweise Software bei Blue Inductive. Das Gründerquartett komplettiert Mayer, der Physik und Wirtschaftswissenschaften studiert hat. „Wir haben uns am Fraunhofer ISE bei einem Forschungsprojekt zum induktiven Laden von E-Autos kennengelernt“, erzählt Reiners. Das Vier-Mann-Team beschloss: Die spannende Technologie soll nicht in der Schublade enden. Die Gründer nahmen den Markt unter die Lupe und entdeckten besonders bei mobilen Industrierobotern große Potenziale.

Vier Gründer setzen alles auf eine Karte

Von der Idee bis zur Geburt von Blue Inductive dauerte es fast ein Jahr. „Der Prozess war mit Kämpfen verbunden“, sagt Mayer. Das Team wandte sich ans Gründerbüro der Universität Freiburg, wo es von EXIST erfuhr, einem Gründerprogramm des Bundeswirtschaftministeriums. „Wir haben alles auf eine Karte gesetzt und gekündigt, bevor wir eine Zusage auf unseren Antrag oder eine Finanzierung hatten“, sagt Mayer. Prompt kam die Absage. Nun saßen die Gründer zwischen allen Stühlen. Doch der zweite EXIST-Antrag wurde bewilligt, und auch ein Investment durch einen Business-Angel konnte das junge Start-up im letzten Jahr einwerben.

Die Unterstützung der Universität war hilfreich, sagt Mayer. Doch er bemängelt, dass es in Freiburg für Start-ups nicht genug Räume gebe. Mayer plädiert für ein Gründerzentrum: „Das gäbe dem Standort einen starken Impuls.“ Dort könnten sich junge Firmen austauschen, für wenig Geld unterkommen und gemeinsame Strukturen nutzen, etwa für Empfang, Telefon und Internet: „In der frühen Phase schaut man auf jeden Cent.“

Zur Elektrifizierung des Verkehrs beitragen

Warum aber erobert Blue Inductive nicht gleich den E-Auto-Markt? „Da sollten zunächst einheitliche Standards definiert werden, sodass später alle Fahrzeuge die Ladeinfrastruktur benutzen können“, sagt Mayer. Darum zielt das Unternehmen vorerst auf autonome Fahrzeuge im Industrie- und Logistikbereich – beispielsweise Packroboter, Lagerfahrzeuge oder mobile Montageplattformen. „Das Interesse ist sehr rege“, freut sich Mayer. Teils kämen sogar Anfragen zu Anwendungen, an die Blue Inductive gar nicht gedacht habe: „Wir entwickeln eine ganze Familie an Systemen für unterschiedliche Anwendungen.“

In Zukunft werden neben Autos auch Busse, Transporter oder Straßenreinigungsmaschinen elektrisch und zunehmend autonom fahren. Spätestens dann braucht es einfache und automatisierte Ladelösungen. „Wir stehen hinter der Energiewende“, sagt Mayer, der privat Elektroroller fährt. Er hofft, dass Blue Inductive mit seiner Technologie in Zukunft bedeutend zur Elektrifizierung des Verkehrs beitragen kann. Das wäre definitiv ein großer Erfolg. „Erfolge und Rückschläge wechseln sich in einem Start-up rasend schnell ab“, sagt Johannes Mayer. „Davon sollte sich jedoch niemand abschrecken lassen. Start-ups sind wie eine Achterbahnfahrt, aber wir sind bisher mit der Entwicklung unseres Unternehmens sehr zufrieden.“

Jürgen Schickinger