Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin erleben & mitmachen Freiheit auf dem Fahrrad

Freiheit auf dem Fahrrad

Das Team von Bike Bridge bringt geflüchteten Frauen das Radfahren bei

Freiburg, 15.09.2017

Freiheit auf dem Fahrrad

Foto: Peter Herrmann

Ob eigentlich auch Frauen in dieser Flüchtlingsunterkunft lebten, fragte Shahrzad Mohammadi einen der Basketballspieler auf dem Sportplatz an der Bissierstraße. Sie hatte ihm und seinen Freunden eine Weile beim Springen und Dribbeln zugeschaut und dabei nirgendwo eine Frau gesehen. Die seien in den Wohnungen, erklärte der Mann. „Er erzählte mir, dass es für Frauen keine Freizeitangebote gebe. Daraufhin unterhielt ich mich lange mit seiner Ehefrau", berichtet Mohammadi, Doktorandin der Sportwissenschaft an der Universität Freiburg. Das war die Geburtsstunde von Bike Bridge.

Freiheit für Frauen: Bike Bridge möchte die Autonomie weiblicher Flüchtlinge stärken.
Foto: Peter Herrmann

Bei Bike Bridge lernen geflüchtete Frauen das Radfahren. Ziel des Projekts ist es, die soziale Isolation von weiblichen Flüchtlingen zu bekämpfen und ihre Inklusion zu erleichtern. „Wir machen sie mobiler und bringen sie mit einheimischen Frauen zusammen", sagt Mohammadi, die sich in ihrer Dissertation mit Gender-Aspekten im Sport beschäftigt. Nach ihrem Erlebnis im Flüchtlingsheim fanden sie und die beiden Mitorganisatorinnen Clara Speidel und Lena Pawelke heraus, dass es tatsächlich keine sportbezogenen Projekte für weibliche Flüchtlinge gab. Das Trio wollte die Lücke füllen. Doch warum ausgerechnet mit Fahrrädern?

„In meinem Land durfte ich wegen der Kultur nicht Fahrrad fahren", erzählt eine Jesidin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie lebt seit zwei Jahren in Deutschland und hat bei Bike Bridge das Fahrradfahren gelernt. „In vielen islamischen Ländern wie dem Irak oder Syrien ist Radfahren für Frauen tabu", ergänzt Mohammadi, „dort kommt der Druck von der Gesellschaft. Im Iran ist es sogar gesetzlich verboten. In Deutschland sind Fahrräder aber sehr wichtig, gerade in Freiburg." Das Radfahren bringe den Teilnehmerinnen daher nicht nur Mobilität, sondern integriere sie auch in die Gesellschaft. „Dadurch habe ich nun sehr viel Freiheit", bestätigt die jesidische Frau.

Erst laufen, dann in die Pedale treten

Das Projekt ging 2016 in die Pilotphase – in der größten Flüchtlingsunterkunft Freiburgs an der Bissierstraße. Ein Kurs bei Bike Bridge dauert drei Monate. Zehn Teilnehmerinnen treffen sich zweimal die Woche. Jede Frau bekommt eine Tandempartnerin als Trainerin zur Seite gestellt. Die Gruppen erlernen Verkehrsregeln und das Radfahren und bekommen Sprachunterricht. Anfangs wird ohne Pedale gefahren, die Frauen bewegen das Fahrrad nur mit den Beinen fort, um erst mal ein Gefühl dafür zu bekommen. Und sie lernen auch, wie man es wieder instand setzt. „Die Teilnehmerinnen lieben den Reparaturworkshop: Sie lernen und üben – es ist wundervoll", freut sich Mohammadi. Im dritten Monat unternimmt die Gruppe Radtouren. Wie oft und ob es in einen Park oder in ein Museum geht, entscheidet jede Gruppe selbst. Vor Ort machen die Frauen ein Picknick, tauschen sich aus und lernen etwas über den Stadtteil. Am Ende des Kurses dürfen sie ihr Fahrrad behalten.

Bisher gab es vier Kurse in verschiedenen Wohnheimen. Die Teilnehmerinnen im Alter von 20 bis 65 Jahren kamen aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien, Iran, Nigeria, Somalia und Kamerun. Die gemeinsame Sprache ist Deutsch – bei Verständnisproblemen übersetzt die Trainerin. Das können auch ehemalige Teilnehmerinnen sein. „Die Gruppe kann von ihren Sprachkenntnissen profitieren, und das Projekt wird nachhaltiger: Wir lassen die Frauen am Ende der Saison nicht allein", erklärt Mohammadi. So war es auch bei der Jesidin aus dem Irak. Sie spricht Arabisch, Kurdisch und Deutsch und trainiert inzwischen gemeinsam mit deutschsprachigen Trainerinnen ihren ersten Kurs.

Spenden für Fahrräder und Helme

Einige nationale und regionale Preise hat das Projekt bereits gewonnen. Die Wartelisten sind lang. Es gibt außerdem Anfragen aus Hamburg, Frankfurt und vielen anderen Städten, die die Idee bei sich umsetzen möchten, doch bisher fehlen die Kapazitäten. „Wir versuchen zunächst, in Freiburg eine gute Basis aufzubauen", erklärt Mohammadi.

Fahrräder, Helme und Schlösser finanziert Bike Bridge bisher über Spenden. Da Ausrüstung für schlechtes Wetter fehlt, finden die Kurse nur im Frühling und im Sommer statt. Im nächsten Jahr will das Team sie gleich zehnmal anbieten. Die neueste Idee richtet sich an Fortgeschrittene: Mohammadi möchte Müttern beibringen, wie sie auch ihre Kinder mit dem Rad transportieren können.

Sarah Schwarzkopf

Bike Bridge