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Sprechstunde Hoffnung

Jurastudierende haben bisher mehr als 100 Geflüchteten mit einer Beratung geholfen – Tendenz steigend

Freiburg, 22.03.2017

Sprechstunde Hoffnung

Foto: Ingeborg Lehmann

Seit Oktober 2016 beraten Jurastudierende der Albert-Ludwigs-Universität in dem Verein „Refugee Law Clinic Freiburg" (RLCF) Geflüchtete in Fragen rund um das Asylrecht. Der mehr als 120 Mitglieder starke Verein ist eine von 36 über ganz Deutschland verteilten studentischen Initiativen, die sich auf Flüchtlingsrecht spezialisiert haben. Jede Woche öffnet die RLCF Ratsuchenden ihre Türen. Ein Besuch.

Rechtsberatung_Ingeborg Lehmann-540.jpgWas muss man bei einem Asylantrag beachten? Die Studierenden unterstützen die Ratsuchenden auf dem Weg durch den deutschen Verwaltungsdschungel. Foto: Ingeborg Lehmann

Schwabentorring 2, Freitag, 12 Uhr. Sprechstunde. Im Foyer warten die ersten Beratungssuchenden. Am Ende des Ganges sitzen in einem Büro fünf Studierende der Rechtswissenschaft, aufgeteilt in zwei Teams. Die Sonne scheint durch die Fenster, es gibt warme Getränke. Die Atmosphäre ist ruhig und entspannt. Fast könnte man vergessen, dass sich in den nächsten zwei Stunden alles um menschliche Schicksale drehen wird. Sajjad A. ist in Begleitung seines ehemaligen Betreuers gekommen. Die beiden kennen sich seit einigen Jahren, und aus dem zunächst beruflichen Verhältnis hat sich eine Freundschaft entwickelt. Sajjad kommt aus Pakistan und lebt seit vier Jahren in Deutschland. Mit 16 Jahren machte er sich alleine auf den Weg in Richtung Westen. „Mein Onkel meinte, dass ich in Deutschland eine gute Ausbildung bekommen könnte", sagt Sajjad. Für seinen Traum war er viele Monate lang unterwegs.

Frist von vier Monaten

Fast immer ist er in Begleitung von Familien gereist und hielt sich dann einige Wochen in dem jeweiligen Land auf, bis es weiterging. Um problemlos reisen zu können, brauchte er einen Pass, der ihn als Volljährigen auswies. Dieser war schnell besorgt. „So etwas zu erzeugen ist kein Problem", sagt er. Doch nun könnte ihn das falsche Dokument die Aufenthaltserlaubnis in Deutschland kosten. Bisher wurde sie alle sechs Monate verlängert, aber jetzt stellt sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) quer. Da Sajjad wohl nicht wegen politischer oder religiöser Verfolgung eingereist ist, sind seine Chancen, in Deutschland zu bleiben, begrenzt. Wenn er aber nachweisen kann, dass er unter 21 Jahre alt ist, hat er gute Aussichten. Dafür hat ihm das BAMF eine Frist von vier Monaten gesetzt.

Deshalb sitzt Sajjad hier, in den Beratungsräumen des Vereins, drei Wochen vor seinem 21. Geburtstag. Dabei könnte seine Vita problemlos in ein Lehrbuch für gelungene Integration passen: Der junge Mann spricht in nahezu akzentfreiem Deutsch und hat bereits einen Schulabschluss an einer internationalen Schule erworben. Ende 2016 begann er eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. Soll das alles an einem falschen Datum scheitern? „Ich selbst habe wenig Hoffnung auf einen Pass", gesteht er resigniert. Isabel Kienzle aus dem Beratungsteam hingegen ist optimistischer: „Er hat aufgrund seiner gelungenen Integration doch sehr gute Chancen zu bleiben. Was wir zunächst machen können, ist, die vom Amt gesetzte Frist noch einmal zu prüfen", sagt die Jurastudentin und weist Sajjad darauf hin, dass eine Abschiebung ohne Pass ohnehin schwierig werden wird. Die Worte ermutigen ihn. In den nächsten Tagen will er nach Frankfurt zum pakistanischen Generalkonsulat fahren.

Immer objektiv bleiben

Es gibt viele Fälle wie den von Sajjad A., doch nicht immer sind sie so aussichtsreich. Man habe schon von Schicksalen gehört, die einem richtig an die Nieren gehen, berichten die Beraterinnen und Berater. Geschichten von auseinandergerissenen Familien und auf dem Mittelmeer gekenterten Booten; von Kindersoldaten und von Vätern, die ihre Töchter wegen hoher Spielschulden verkauften; von Familien, die von Taliban-Milizen als „Landesverräter" brutal misshandelt wurden. „Wenn man solch einer traumatisierten Person gegenüber sitzt, weiß man oft nicht, was man sagen soll", erzählt Jakob Gauli „Es tut einem persönlich leid, und man muss aufpassen, dass man weiterhin objektiv berät." Luise Witt betont den menschlichen Aspekt der Vereinsarbeit, denn man habe „die Erfahrung gemacht, dass viele einfach froh sind, mit jemandem über das reden zu können, was ihnen widerfahren ist".

Orientierung im deutschen Behördendschungel

Dabei sind den angehenden Juristinnen und Juristen in vielen Fällen die Hände gebunden. Mangels Zulassung dürfen Studierende nicht anwaltlich beraten. „Wir machen das nach dem Prinzip, dass wir eher einschätzend als beratend tätig sind", betont Witt. „Bei speziellen und tiefer gehenden Fragen recherchieren wir erst einmal und melden uns später zurück." Im Notfall habe man auch einen guten Draht zu einschlägigen Fachanwältinnen und Fachanwälten. Die meisten Ratsuchenden befinden sich in ihrem Asylverfahren zwischen Antragsstellung und der für das Verfahren entscheidenden Anhörung des BAMF. „Wir können ihnen dann beispielsweise erklären, was für einen begründeten Asylantrag wichtig ist, denn vielen ist gar nicht klar, auf was es dabei ankommt", berichtet Paul König. Das Team will den Asylsuchenden auf ihrem Weg durch den deutschen Behördendschungel eine Orientierung geben. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Berater ihre Klientinnen und Klienten zu wichtigen Terminen begleiten. Es sind eben die schlichten Dinge, aber die nützlichen.

Kostenfreies Angebot

Trotz des eingeschränkten Handlungsspielraums haben die Studierenden ausgebuchte Sprechstunden. Das kostenfreie Angebot hat sich mittlerweile herumgesprochen. In mehr als 100 Fällen haben sie Geflüchtete schon unterstützt. Obwohl die Arbeit ehrenamtlich ist, viel Zeit in Anspruch nimmt und sich größtenteils auch nicht auf den Studienabschluss anrechnen lässt, bleiben die Studierenden dabei. Sie sind sich darin einig, dass es erfüllend ist, Menschen zu helfen; dass es gut tut, wenn man Gutes bewirkt. Doch keine Zeit zum Abschweifen. Es klopft. Vor der Tür stehen die nächsten Beratungssuchenden. Diesmal ist es eine Roma-Familie aus Serbien.

Foto: Ingeborg Lehmann

Ausbildung

Der Verein „Refugee Law Clinic Freiburg" schult Interessierte in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg ein Semester lang in Sachen Asylrecht. Neben den im regulären Lehrplan vorgesehenen Veranstaltungen für Jurastudierende kommen eine Vorlesung zum Flüchtlingsrecht sowie Übungen und Seminare dazu. Nach einem Praktikum oder einer Hospitation steht am Ende der freiwilligen Zusatzausbildung eine Abschlussprüfung auf dem Plan. Außerdem finden monatlich und parallel zur Beratung verpflichtende Supervisionstreffen unter der Leitung erfahrener Anwältinnen und Anwälte statt.

Lars Kirchberg

Refugee Law Clinic Freiburg