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Ein Hauch über dem Erdreich

Freiburger Forscher können selbst die geringsten Luftdruckschwankungen zwischen Waldboden und Atmosphäre messen – das verspricht neue Erkenntnisse über Treibhausgase und Klimaschutz

Freiburg, 04.05.2020

Ein Hauch über dem Erdreich

Foto: lily/stock.adobe.com

Mit neuen Messinstrumenten und Methoden wollen Freiburger Forschende Schwankungen im Luftdruck an der Grenze zwischen Boden und Atmosphäre nachweisen, um den Einfluss auf die Austauschraten von Treibhausgasen zu untersuchen. Prof. Dr. Dirk Schindler von der Professur für Umweltmeteorologie hat den Ansatz gemeinsam mit seinem Team entwickelt. Anlässlich des 50. Jubiläums der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen (UNR) stellt eine Serie verschiedene Forschungsprojekte und Fachbereiche vor. Der dritte Teil – „Luft“ – beleuchtet ein neu entdecktes Phänomen: das Druckpumpen.

Der Wald könnte eine neue Bedeutung für den Klimaschutz gewinnen: Dirk Schindlers Erkenntnisse legen nahe, dass der Boden durch den Vorgang des Druckpumpens mehr Methan aufnehmen kann. Foto: lily/stock.adobe.com

Seit sechs Jahren untersucht Dirk Schindler, ob und wie Luftdruckschwankungen an der Grenzfläche des Waldbodens die Austauschraten von Treibhausgasen, etwa Kohlenstoffdioxid und Methan, zwischen Wäldern und der Atmosphäre beeinflussen. Damit hat er sich einem Thema verschrieben, das weltweit kaum erforscht ist – obwohl dadurch der Beitrag von Waldböden zum Klimaschutz genauer ermittelt werden könnte. „Tragen wind-induzierte Druckfluktuationen zur Methanoxidation in belüfteten Böden bei?“ heißt sein derzeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt. Neben Schindler zählen ein weiterer Mitarbeiter der Professur sowie zwei Angestellte der Abteilung Boden und Umwelt der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) zum Kernteam.

Der Austausch zwischen oberirdisch und unterirdisch

„Um das Leistungsvermögen von Wäldern im Kampf gegen die Klimafolgen besser erfassen zu können, müssen wir möglichst viele Prozesse kennen und verstehen“, erklärt Schindler. „Aus diesem Grund analysieren wir, wie atmosphärische Turbulenzen, also Luftwirbel, den Methanaustausch an der Grenzfläche des Bodens beeinflussen. Wir messen unter anderem, ob sich nach kräftigen Windböen eine größere Menge des Gases in diesem Bereich befindet“, sagt der Forstwissenschaftler.

Wissenschaftlich erwiesen sei bislang, dass kraftvolle Luftwirbel, die über Wäldern entstehen, die Austauschraten zwischen den oberirdischen Bestandteilen des Ökosystems Wald und der Atmosphäre erhöhten. Diese entstünden bei unterschiedlich großen Windgeschwindigkeiten zwischen der Luftströmung über und im Wald. Da direkt über dem Erdreich zwar Luftdruckschwankungen auftreten, aber kaum Luftströmung herrsche, habe die Fachwelt die Auswirkungen von Luftwirbeln bislang nicht mit der Höhe der Gastransportraten im Boden in Verbindung gebracht.

21 Meter über dem Boden: Dirk Schindler steht auf einem der fünf Messtürme. Sie zeichnen rund um die Uhr die Windgeschwindigkeit auf. Foto: Dirk Schindler

„Freilandversuche mit starkem Wind haben jedoch bis zu 30 Prozent höhere Gastransportraten im Oberboden ergeben. Das stellt die bisherigen Annahmen infrage“, sagt Schindler. „Wir führen diese Ergebnisse auf Luftdruckschwankungen in unmittelbarer Bodennähe zurück, die wiederum infolge atmosphärischer Turbulenzen entstanden sind.“ Seine These lautet, dass Gase durch das Auf- und Absteigen des Luftdrucks sowohl in das luftgefüllte Porensystem des Bodens hineingepresst als auch herausgezogen werden. Druckpumpen heißt dieser Vorgang, bei dem sich die atmosphärischen Luftdruckschwankungen im Erdreich fortpflanzen und die Austauschraten zwischen Erdreich und Atmosphäre erhöhen. „Würden Waldböden dadurch eine größere Menge des stark klimaschädlichen Methans aufnehmen können, müssten ihre Potenziale zum Treibhausgasaustausch und damit ihr Beitrag zum Klimaschutz neu bewertet werden“, gibt Schindler zu bedenken.

Messen rund um die Uhr

Am Anfang des Projekts stand Dirk Schindler vor einer großen Herausforderung: Konventionelle Messinstrumente und -methoden konnten die extrem geringen Luftdruckschwankungen nicht nachweisen. „Mit der Professur für Bodenökologie der Uni Freiburg haben wir ein neuartiges Messverfahren und sensiblere Sensoren entwickelt, um die Prozesse sowie deren Einflüsse überhaupt erfassen zu können“, erklärt er. „Wir sind damit in der Lage, Luftdruckschwankungen von wenigen Zehntelpascal unter Freilandbedingungen sehr präzise zu erfassen. Das sind Luftdruckschwankungen, die eine Million Mal geringer sind als der mittlere atmosphärische Luftdruck auf Meereshöhe.“ Seit 2015 kamen die Sensoren auf gut einem Dutzend verschiedener Standorte zum Einsatz.

In diesem Jahr wollen die Forscher erstmalig messen, wie sich die Luftdruckschwankungen dreidimensional ausdehnen. Hierfür wurden auf einem 4.900 Quadratmeter großen Areal der Forstmeteorologischen Messstation der Uni Freiburg im Gemeindewald Hartheim fünf 21 Meter hohe meteorologische Messtürme errichtet. Sie sind mit insgesamt 20 Messgeräten bestückt, die die Windgeschwindigkeit aufzeichnen. Zeitgleich ermitteln 80 Sensoren in und über dem Waldboden den Luftdruck. Diese arbeiten mit einer Frequenz von 10 Hertz, sodass jeder Sensor innerhalb von einer Stunde 36.000 Daten liefert. Gemessen wird 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. „Wir haben für das Projekt extra einen Algorithmus programmiert, der diese riesigen Datenmengen für uns auswertet“, sagt der Wissenschaftler.

In einem Wald in Hartheim kommen die neuen Messinstrumente des Freiburger Teams zum Einsatz. Foto: Dirk Schindler

Das Druckpumpen weltweit erforschen

Der Prozess des Druckpumpens konnte bisher an allen untersuchten Standorten nachgewiesen werden und kann die Gastransportraten in gut durchlüfteten Böden um bis zu 30 Prozent steigern. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich dadurch die Methanaufnahme in Böden erhöht, weil sich die Sauerstoffversorgung von dort lebenden Mikroorganismen verbessert. „Diese positiven Zwischenergebnisse lassen sich aus den bisherigen Messkampagnen ableiten.“

Bis in den Spätsommer hinein wird das Team auf der Versuchsfläche messen und die Methode weiter optimieren. Danach soll der Versuchsaufbau auf weitere Standorte der FVA ausgeweitet werden. Wie geht es weiter, wenn sich an allen Messpunkten ähnliche Effekte belegen lassen? „Dann könnten wir unsere Methode an die Anforderungen von anderen Messstationen anpassen und das Druckpumpen weltweit erforschen.“

Mit der Resonanz der wissenschaftlichen Community ist Dirk Schindler mehr als zufrieden. Sie seien zwar eine vergleichsweise kleine Gemeinschaft, würden sich dafür aber umso reger austauschen. Mit Blick auf das Projekt seien nationale wie internationale Kolleginnen und Kollegen besonders an der Messmethode und dem Umfang der Messkampagnen interessiert. „Mit unserer Grundlagenforschung verbessern wir nicht nur die Quantifizierung von Stoffflüssen. Vielmehr schaffen wir neues Wissen und schließen damit Lücken im Verständnis des Treibhausgasaustauschs.“ Angesichts des Klimawandels könnte das die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit von Waldböden, aber auch anderer landwirtschaftlicher Flächen weiter stärken.

 

Kristin Schwarz

 

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