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Vorbild für die arabische Welt

Der Islamwissenschaftler Simon Wolfgang Fuchs untersucht, wie die iranische Revolution in den 1970er Jahren andere muslimisch geprägte Länder beeinflusste

Freiburg, 05.12.2018

Vorbild für die arabische Welt

Foto: Simon Fuchs

Die Revolution im Iran in den 1970er Jahren war einzigartig in der arabischen Welt. Während der Protest innerhalb des Landes wissenschaftlich schon gut aufgearbeitet ist, weiß man wenig über seinen Einfluss auf andere muslimische Länder. Auf seinen Forschungsreisen durch den Libanon und Tunesien hat der Islamwissenschaftler Dr. Simon Wolfgang Fuchs nach Zeugnissen dieser Zeit gesucht.


Symbolfigur, auch nach langer Zeit: Mit Fotos des ehemaligen Revolutionsführers Ruhollah Khomeini (rechts) und seines Nachfolgers Ali Khamenei (links) spricht sich dieser Demonstrant 2008 zum 29. Jahrestag der Revolution in Teheran für den Iran als islamischen Staat aus und kündigt an, seine Verräter zu bekämpfen. Fotos: Simon Wolfgang Fuchs

Gemeinsam zwangen religiöse und politische Gruppen 1979 den letzten Schah zur Flucht aus dem Iran und führten das Land zu einer Republik. Während die Revolution innerhalb des Irans wissenschaftlich schon gut aufgearbeitet ist, weiß man wenig über ihren Einfluss auf andere muslimische Länder. „Der Iran war eines der stabilsten und mächtigsten Länder der Region. Niemand hatte mit einer solchen Änderung innerhalb weniger Monate gerechnet. Mich interessiert die große Signalwirkung für viele andere Gruppierungen in der Region“, erklärt der Islamwissenschaftler Dr. Simon Wolfgang Fuchs vom Orientalischen Seminar der Universität Freiburg. Er erforscht, wie die muslimische Welt die Revolution aufnahm, sie diskutierte und sich davon inspirieren ließ.

Dafür spricht Fuchs vor Ort mit Aktiven, mit Zeitzeuginnen und -zeugen, und er durchforstet Archive nach Quellen aus der damaligen Zeit. „Da sich die Perspektiven vieler Menschen inzwischen verändert haben, sind meine Hauptquellen Monats-, Wochen- und Tageszeitungen verschiedener Gruppen“, berichtet er. Über diese vollzieht er den Verlauf der damaligen Debatten nach. Mit seiner Forschung, die von der Gerda Henkel Stiftung im Programm „Islam, moderner Nationalstaat und transnationale Bewegungen“ gefördert wird, hat Fuchs dieses Jahr im Libanon und in Tunesien begonnen – im Frühjahr 2019 wird er Pakistan, Indien und Afghanistan bereisen.

Forschen in unruhigen Zeiten

„Wegen des aufgeheizten Klimas zwischen Sunniten und Schiiten wusste ich selbst nicht, wie die Forschung vor Ort aussehen würde – gerade mit nicht-schiitischen Akteuren“, erzählt Fuchs. „Aber bisher habe ich nur positive Erfahrungen gemacht.“ Ein Zeitzeuge aus Tunis packte zum Beispiel seine gesammelten Dokumente in eine Kiste und ließ sie Fuchs zu einem Café bringen. „Ohne mich je gesehen zu haben oder zu wissen, wer ich bin. Dieses Vertrauen hat mich ermutigt. Es zeigt ein Interesse daran, dass diese Geschichte erzählt wird und dass sich jemand mit dieser Zeit beschäftigt.“


Simon Wolfgang Fuchs durchforstet Archive nach zeitgenössischen Zeitschriften wie dieser, die 1979 in Tunesien erschien.

Die Reaktionen auf die Revolution setzten im Herbst 1978 ein und explodierten im Frühjahr 1979, als klar wurde, dass im Iran etwas ganz Neues entstehen könnte. In den umliegenden Ländern waren die Menschen fasziniert von dem Erfolg und arbeiteten an vielen Orten ebenfalls auf einen Machtumsturz hin. Die iranische Revolution war dabei mehr als ein rein schiitisches Ereignis. „Das ist erst mal schwer zu glauben, denn heute sehen wir im Nahen Osten und in Südasien vor allem die konfessionellen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten“, sagt Fuchs.

Kampf gegen weltweiten Kapitalismus

Das Ziel der Revolutionäre war es aber nicht nur, dass Religion wieder eine größere Rolle spielen könnte. Ihnen ging es auch um den Kampf gegen den weltweiten Kapitalismus und um den Antiimperialismus gegen die USA und die Sowjetunion. „Bei vielen Oppositionellen entstand die Vorstellung: Wenn die Iraner das geschafft haben, gelingt uns das vielleicht auch“, so Fuchs.

Maoistische Aktivistinnen und Aktivisten im Nahen Osten überlegten nach der Revolution, wie auch sie die Massen erreichen könnten. Sie erkannten, dass sie dafür stärker die Religion berücksichtigen mussten. In Pakistan konnten sich selbst sunnitische Gruppen nicht der Faszination des Irans entziehen. Sie übernahmen die Symbolik von Märtyrertum und Leiden, die bis dahin nur schiitische Banner geschmückt hatte, und deuteten sie für ihre Zwecke um.


Ein Zeitzeuge aus Tunis packte seine gesammelten Dokumente in eine Kiste und ließ sie Simon Wolfgang Fuchs zu einem Café bringen.

Auch die weltlichen Themen im Iran schlugen Wellen. Fuchs konzentriert sich dabei auf Frauenbilder, auf politische und wirtschaftliche Vorstellungen und darauf, wie sunnitische Gruppen die Entwicklung wahrnahmen. „Meine Vermutung ist, dass sich auch politisches Denken und gesellschaftliche Konzeptionen in der Revolutionszeit verschieben“, sagt er. Ein islamistisches Magazin aus dem Libanon zum Beispiel illustrierte in den Folgejahren alle Artikel zur Rolle der Frau mit Bildern öffentlich wirkender, verschleierter Frauen – in Anspielung an den Iran, der solche Ziele schon erreicht hatte.

Dass die Begeisterung nicht überall lange anhielt, sieht man am Beispiel Syrien. Hier ging die Moslembruderschaft gegen ihr Regime vor und erhoffte sich Unterstützung aus dem Iran. Der hingegen versuchte, gute Verbindungen zur syrischen Regierung zu pflegen. „Als das klar wurde, kippte die Stimmung sofort. Mich interessiert besonders, bis wann die Faszination blieb und ab wann sich das positive Bild der Revolution wieder ändert“, beschreibt Fuchs. Doch auch das sei von Land zu Land unterschiedlich: „Im Libanon und in Tunesien ging das nicht so schnell. Die Menschen dort erzählten mir, wie sie dieses Ereignis elektrisiert hat, und es besteht noch heute ein großes Interesse.“

Sarah Schwarzkopf