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Anders lernen

Zwei Studentinnen haben einen Film über Frauen in der Kommunalpolitik gedreht

Freiburg, 15.07.2019

Emotional, kognitiv und visuell Wissen vermitteln: Dieses Ziel hatten Charlotte Weinreich und Rosa-Lena Lange, als sie ihr Videoprojekt starteten. Im Rahmen ihres Studiums am University College Freiburg der Albert-Ludwigs-Universität begleiteten sie Stadträtin Monika Stein während des Wahlkampfes mit der Kamera. Dabei lernten die Studentinnen nicht nur das Filmemachen, sondern auch viel über Kommunalpolitik und eine unterschiedliche Diskussionskultur von Frauen und Männern.


Die Kurzdokumentation schildert die Situation von Frauen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren. Quelle: Charlotte Weinreich, Rosa-Lena Lange

Die Kamera schwenkt über eine lange Reihe von Porträts der Oberbürgermeister (OB), die im Freiburger Rathaus die Wände zieren. An ihnen schreitet eine Frau vorbei, die sich zutraut, die Nachfolge dieser Männer anzutreten. Mit mehr als 26 Prozent der Stimmen erreichte Monika Stein, Stadträtin der Grünen Alternative (GAF), bei der OB-Wahl im vergangenen Jahr ein beachtliches Ergebnis.

Charlotte Weinreich und Rosa-Lena Lange, Studentinnen am University College Freiburg (UCF), haben die Hauptschullehrerin als Protagonistin für ihren zwölfminütigen Dokumentarfilm über „Frauen in der Kommunalpolitik“ gewinnen können. Viel haben sie dabei gelernt – über ihre eigene Rolle, über das Dokumentarfilmemachen, über den „lokalen demokratischen Gestaltungsraum“, den die Mitarbeit in einem Kommunalparlament eröffnet und für den sie die Politikwissenschaftlerin Dr. Beate Rosenzweig werben lassen. Die Expertin wählten sie, um den „Blick auf das große Ganze“ zu weiten, das sich in der persönlichen Geschichte der Lokalpolitikerin spiegelt.

Aha-Erlebnis beim Dreh

Ursprünglich hatte den Studentinnen ein Porträt von einem Menschen vorgeschwebt, den sie seine Geschichte erzählen lassen. Aber in Freiburg war gerade die OB-Wahl vorbei, und ein Jahr später sollten die Kommunalwahlen anstehen. Die Relevanz des Themas drängte sich geradezu auf. Zumal die beiden feststellten, dass „Kommunalpolitik offensichtlich für unsere Generation unattraktiv ist“. Die wenigsten Studierenden wissen Langes Beobachtungen zufolge darüber Bescheid: „Sie interessieren sich mehr für globale Kontexte.“ Ein wenig Nachhilfe konnte da nicht schaden. Und was würde sich dafür besser als ein Dokumentarfilm eignen, der Wissen mit anderen Mitteln auf unterschiedlichen Ebenen – emotional, kognitiv, visuell – vermitteln könne.

Herausgekommen ist ein Video, das sowohl eine Geschichte erzählt, als auch viele Informationen liefert. So mancher Drehtag endete auch für die Filmemacherinnen selbst mit einem Aha-Erlebnis: Über die unterschiedliche Diskussionskultur von Männern und Frauen im Gemeinderat zum Beispiel und die Parallelen, die sich plötzlich zu ihrem eigenen universitären Umfeld auftaten: das dominante Auftreten der Männer, die andere viel schneller unterbrechen; Frauen, die sich erst dann zu Wort melden, wenn sie wirklich etwas zu sagen haben und sich gut darauf vorbereitet haben. „Die Muster sind sehr ähnlich“, sagt Weinreich.

Von der Totalen bis zur Nahaufnahme

Lange und Weinreich haben es als Glück empfunden, dass sie zu zweit an dem Projekt arbeiten konnten. Weinreich hat schon Beiträge für das uniTV und das Radio Dreyeckland verfasst, Lange ist nach einem entsprechenden Kurs während eines Auslandsjahres in London mit der Ästhetik des Dokumentarfilms vertraut. „Wir konnten viel voneinander lernen“, sagt Weinreich. Kameraeinstellungen von der Totalen bis zur Nahaufnahme, wechselnde Schauplätze und unterschiedliche Gesprächspartnerinnen sorgen für einen lebendigen Erzählrhythmus. Bild und Ton nehmen aufeinander Bezug.

Dennoch: „Wir sind keine Profis“, haben sie schmerzlich erfahren müssen. Einige Male haben sie abends, wenn sie „total fertig“ ihr Material noch mal anschauten, feststellen müssen, dass „das Licht schrecklich und der Ton schlecht waren“. In den „Phasen des Zweifelns“ haben sie sich gegenseitig Mut gemacht. „Wir haben gelernt, nicht aufzugeben“, erklärt Lange. Fast sechs Monate haben sie gebraucht, bis ihr in Kooperation mit dem uniTV entstandener Film fertig war.

„Practical Projects“ als Studienleistung

Erst spät kam den jungen Frauen die Idee, dass sie sich ihren Film als Studienleistung anerkennen lassen könnten. Hauptantrieb sei das Filmemachen gewesen, nicht die Jagd nach ECTS-Punkten, bekräftigen die beiden, die am UCF den Studienschwerpunkt „Governance“, also Politik, Wirtschaft, Recht, gewählt haben. Immerhin hat ihr „Independent Study Project“ ihnen sechs Punkte eingebracht. In dem vierjährigen Bachelorstudiengang „Liberal Arts and Sciences“ (LAS) lässt ein Wahlpflichtbereich Raum für alle möglichen Ideen: eine vertiefende Vorlesung an der Universität, ein Praktikum oder eben ein eigenes Praxisprojekt wie das der beiden Studentinnen.

Eine „unglaubliche Vielfalt“ erlebt Dr. Ryan Plumley, zuständig für die Betreuung solcher „practical projects“, für die sich etwa ein Viertel der jährlich neu aufgenommenen 80 Studierenden entscheiden. Die Mehrheit bevorzuge ein klassisches Praktikum, etwa im schottischen Parlament, einer politischen Partei in Österreich oder auch bei einem südbadischen Weingut. Eine Studentin, die für den Gemeinderat kandidierte, machte ihren Wahlkampf zu einem Praxisprojekt. „Echt cool“, findet Plumley, was Weinreich und Lange auf die Beine gestellt haben. Er betont, dass es dabei weder um benotete Prüfungsleistungen noch um ein Forschungsprojekt gehe, sondern um die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem selbst gewählten Stoff – etwa in einem abschließenden kurzen Essay. „Selbst wenn es total schief gegangen wäre, wäre es kein Scheitern gewesen“, sagt er. „Denn es hat auf jeden Fall ein Lernprozess stattgefunden.

Anita Rüffer

 

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