Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin lehren & lernen Lernen in der Landschaft

Lernen in der Landschaft

Mit einer Smartphone-App der Universität Freiburg erweitern Studierende ihr Fachwissen im freien Feld

Freiburg, 28.11.2018

Lernen in der Landschaft

Foto: Patrick Seeger

An der Universität Freiburg ist eine Smartphone-App entstanden, die fachwissenschaftliche Informationen an so genannten Lernorten im gesamten Stadtgebiet vermittelt. Studierende können dort ihr Wissen ergänzen und vertiefen. Vier Studierende der Umweltwissenschaft haben die App getestet.


Über die Smartphone-App erhalten Studierende  an so genannten Lernorten fachwissenschaftliche Informationen. Fotos: Patrick Seeger

Ein Mittwoch im Oktober, es ist kühl und bewölkt. An der Technischen Fakultät der Universität Freiburg sammelt sich ein kleines Grüppchen. Händeschütteln, Begrüßung, dann zücken alle wie auf Kommando ihr Smartphone. 14 Uhr. Gehts los? Der simultane Blick aufs Gerät hat freilich mehr als den simplen Uhrenvergleich im Sinn. Alle fünf Gruppenmitglieder schauen, ob sich die Lernorte-App starten lässt, die sie zuvor heruntergeladen haben.

Mitarbeitende der Professur für Fernerkundung, des Rechenzentrums der Universität Freiburg und einer externen Softwarefirma haben die App entwickelt. Sebastian Brackhane, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fernerkundung, hat das Projekt koordiniert. An diesem Tag macht er vier Studierende der Umweltwissenschaften mit der Lernorte-App vertraut. Sie befindet sich noch in der Testphase. „Das Konzept haben wir Science Trails genannt“, erläutert Brackhane. „Die Idee ist, draußen zu sein, im Feld – und dort über die App fachwissenschaftliche Informationen vermittelt zu bekommen, mit deren Hilfe man sich ein Thema erschließt.“

Entlastung für Dozierende

Konkrete Anschauung vor Ort, das weiß man seit Langem, ist hervorragend geeignet, erworbenes Wissen zu erweitern und zu vertiefen. Dank der App können Studierende solche Vor-Ort-Exkursionen selbstständig durchführen, ohne fachwissenschaftliche Begleitung. „Das entlastet die Dozierenden, hilft ihnen, sich auf andere Aspekte der Lehre konzentrieren zu können“, sagt Brackhane. „Und die Studierenden sind auf diese Weise nicht an einen weiteren fixen Termin gebunden, können ihr Lernpensum individueller gestalten.“

Lernorte 3 (Patrick Seeger)540.jpg
Ein einleitender Text, Grafiken und Luftbildaufnahmen zeigen die Entwicklung der Fläche am Freiburger Flughafen im Laufe der Jahrzehnte.

Die App startet problemlos. „Schon mal gut“, murmelt Brackhane. Gestern war er in Basel, da hakte die App noch – sie wird nämlich soeben mit Fördermitteln des trinationalen Verbunds EUCOR – The European Campus weiterentwickelt, um sie in Zukunft auch an Lernorten in Frankreich und in der Schweiz einsetzen zu können. Johannes Jung, einer der vier Umweltwissenschaftler, schaut jetzt auf die App. Eine Karte ist sichtbar, die Technische Fakultät und vor ihr ein blauer Punkt – dieser markiert den Standort der Gruppe. Nicht weit entfernt, in Richtung Flugplatz, sieht man in Orange ihr Ziel, den Lernort dieser Exkursion. „Mehr Informationen kriege ich aber nicht aufs Display“, bemerkt Jung. Das freilich ist kein Mangel, sondern gewollt, wie Brackhane weiß: „Die Fachinhalte tauchen erst auf, wenn man sich im Umkreis von 200 Metern des jeweiligen Lernorts befindet“, sagt er lächelnd. Der technische Kniff gewährleistet, dass Studierende ihre kleine Reise auch wirklich antreten – anstatt gemütlich von der heimischen Couch aus vertiefen und ergänzen zu wollen.

Eigene Lernorte definieren

Die Gruppe setzt sich in Bewegung, es geht über den Campus in Richtung Flugplatz. Kaum sind die Studierenden ein paar Meter gelaufen, tauchen auch die Inhalte auf der App auf. Bislang gibt es zwölf Lernorte für die App. Etwa das Münster, wo Studierende der Geologie etwas über das Baumaterial Sandstein erfahren. Die Fachinhalte für diesen Lernort wurden von der Professur für Mineralogie und Petrologie entwickelt, die zusammen mit der Professur für Fernerkundung, der Physischen Geographie und der Professur für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Entwicklung des Konzepts beteiligt war. Seit diesem Semester kann jedes Fach der Universität Freiburg eigene Lernorte für die App definieren und die Lerninhalte eigenständig kreieren. „Das funktioniert über die zentrale Lernplattform ILIAS des Rechenzentrums, sagt Brackhane.

Am Lernort Flughafen geht es um Flächenverbrauch; ein Riesenthema, zumal in Ballungsräumen wie Freiburg. Auf der App erscheint zunächst ein einleitender Text. Ihn ergänzen Grafiken und Luftbildaufnahmen, die die Entwicklung vor Ort im Laufe der Jahrzehnte zeigen. Einst reines Brachland, steht die Gruppe an einem der am stärksten wachsenden Punkte in Freiburg. Neben der Messe, der Universität und assoziierten Instituten trägt dazu bald auch der SC Freiburg bei – das neue Stadion entsteht in Sichtweite. Das letzte Luftbild der App ist von 2013 und zeigt drei Wohnblöcke mit Unterkünften für Studierende der Technischen Fakultät. Wenn man den Blick vom Smartphone löst und sich umschaut, merkt man: Inzwischen sind es sechs.


Um die Fläche später berechnen zu können, tragen die Studierenden die ermittelten GPS-Daten der Neubauten in eine Landkarte ein.

Flächenverbrauch misst man heute oft durch Fernerkundung. Also zum Beispiel mittels Satellitenaufnahmen, die am Computer ausgewertet werden. Die Übung vor Ort dient auch dazu, den Studierenden solche Methoden nahezubringen. Genauso wie ihre historischen Vorläufer – die Vermessung vor Ort. Deswegen steht jetzt eine praktische Aufgabe an. Die vier Studierenden sollen messen, wie hoch der Flächenverbrauch durch die drei Neubauten ist, die seit 2013 an dieser Stelle entstanden sind. Die Studierenden erfassen die Position der Eckpunkte dieser Gebäude über die GPS-Koordinaten, die sie mit ihren Handys ermittelt haben. Um die Fläche später berechnen zu können, tragen sie die Koordinaten in eine kopierte Landkarte von großem Maßstab ein, die Brackhane ausgeteilt hat. „Wir können also auch old school“, bemerkt die Studentin Kirja Kajewski witzelnd und hebt zum Beweis ihren Stift.

Sportelnd zum Wissen

Jetzt ziehen die Vier um die Häuser, von Eckpunkt zu Eckpunkt, teilweise müssen sie dazu ein bisschen sporteln – weil Heidrun Irion kein GPS-Signal kriegt, klettert sie mit ausgestrecktem Arm auf eine Mauer. Dann werden die Köpfe über der Karte zusammengesteckt, gerechnet, gelacht.  „Außer solchen Übungen sind auch noch andere Formen der Wissensvermittlung denkbar“, kommentiert Brackhane. Etwa ein kleines Quiz, Multiple Choice. Und natürlich könne man die App nicht nur mit Text- und Bilddateien bestücken, sondern etwa auch mit Audio-Material. Zum Beispiel, wenn man sich an Studierende mit eingeschränkter Sehfähigkeit richtet: „Durch die App sollen die Lernorte möglichst barrierefrei erfahrbar werden.“

Die Exkursion ist vorbei, Brackhane bittet um Feedback: Was könnte noch verändert, verbessert werden? Irion bemerkt, dass das GPS-Signal nicht exakt gewesen sei, das habe das Ergebnis verfälscht. Brackhane nickt, sieht darin aber auch ein wichtiges Lernergebnis: „Fernerkundliche Vermessung kann deutlich schneller und präziser sein.“ Jung findet, die Schriftgröße könnte im Sinne der Barrierefreiheit frei wählbar sein. Kirsi Schmidt fand die Aufgabenstellung im begleitenden Text ungenau, sie ließ Spielraum für Interpretation. Aber das sind Kleinigkeiten, schnell zu ändern. Allgemein sind die vier Studierenden mit der Technik zufrieden und können sich gut weitere Anwendungen vorstellen, in der Bodenkunde zum Beispiel.  Kajewski lobt abschließend den intuitiven Aufbau der App. „Mir hat eine Straßenbahnfahrt gereicht, um mich damit vertraut zu machen.“

Mathias Heybrock