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Das Austauschprogramm Erasmus wird 30 Jahre alt – was hat sich in drei Jahrzehnten getan?

Freiburg, 07.03.2017

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Fotos und Montage: Sandra Meyndt

Wer heute den Namen „Erasmus“ hört, denkt vermutlich weniger an den universal gebildeten Humanisten Erasmus von Rotterdam aus dem 15. Jahrhundert, der einst auch in Freiburg lehrte, sondern an das nach ihm benannte europäische Austauschprogramm für Studierende. 2017 wird es 30 Jahre alt. Die Albert-Ludwigs-Universität hat sich von Anfang an daran beteiligt. Anita Rüffer sprach mit Ulrich Eckelt vom EU-Büro, der den Austausch seit 20 Jahren betreut.

Ulrich Eckelt war von Anfang an am Austausch beteiligt. Mittlerweile unterstützt er jedes Jahr zwischen 600 und 700 Studierende aus Freiburg bei ihren Vorbereitungen auf einen Auslandsaufenthalt. Foto: Klaus Polkowski

Herr Eckelt, vor 30 Jahren herrschte in Europa im Hinblick auf ein Zusammenwachsen noch Aufbruchsstimmung. Welcher Idee folgt Erasmus?

Ulrich Eckelt: Europa sollte zusammenwachsen, auch durch einen gemeinsamen Bildungsraum. Da die Europäische Union (EU) in die Bildungssysteme ihrer Mitgliedstaaten nicht direkt eingreifen kann, hat sie dafür den indirekten Weg des Studierendenaustauschs zwischen den Universitäten und ihren Fachbereichen gewählt. Das kam auch den Interessen von Wirtschaft und Industrie entgegen, die vergleichbar qualifiziertes Personal aus ganz Europa finden wollten.

Wie kann man sich die Anfänge des Programms in Freiburg vorstellen?

Zu Beginn waren es gerade einmal vier Studierende, die an drei europäische Hochschulen geschickt wurden. Sie waren damals Pioniere, und der Austausch wurde sehr individuell organisiert: Jede und jeder musste sich selbst um die passende Hochschule und die Anerkennung der im Ausland erbrachten Studienleistungen bemühen. Unter Umständen ließ eine Professorin oder ein Professor auch mal die Kontakte spielen und stellte ein persönliches Empfehlungsschreiben aus.

Und heute?

Heute läuft das alles viel strukturierter ab: Der Fachbereich wählt die Kandidatinnen und Kandidaten aus, unser Büro kümmert sich um das Procedere und sorgt dafür, dass die strengen Vorgaben der EU eingehalten werden – zum Beispiel müssen ein Motivationsschreiben und ein Studienplan vorliegen, der an die jeweils heimischen Studieninhalte angepasst ist. Von einem „von der EU gesponserten Urlaub“, wie dem Programm schon mal unterstellt wurde, kann also keine Rede sein. Zumal man mit 150 bis 250 Euro monatlich – je nach Preisniveau des Ziellandes – auch keine allzu großen Sprünge machen kann. Weil Erasmus kein Programm für Reiche sein will, kann für ein Auslandssemester zusätzlich Bafög beantragt werden. Und Erasmus-Studierende zahlen keine Studiengebühren.

Die EU hat kräftig zugelegt auf derzeit 28 Mitgliedstaaten. Wie hat sich das auf das Erasmusprogramm ausgewirkt?

Die Universität Freiburg bietet heute in jedem akademischen Jahr 1.500 Austauschplätze an 330 Partnerhochschulen in 30 europäischen Ländern an. Das gilt für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum und EU-Beitrittskandidaten wie die Türkei. Mit der Schweiz wurden bilaterale Vereinbarungen getroffen. Seit 2016 schwärmt Erasmus aber auch in die ganze Welt aus: Es können Anträge für Hochschulen außerhalb Europas gestellt werden. Und das gilt nicht nur für Studierende, sondern auch für Verwaltungsmitarbeitende und Lehrende. Deren Aufenthalte dauern allerdings kein ganzes Semester. Studierende hingegen haben die Möglichkeit, insgesamt dreimal – während des Bachelors, des Masters und der Promotion – je zwölf Monate über Erasmus ins Ausland zu gehen. Zusätzlich werden Erasmus-Praktika finanziell unterstützt.

Foto und Montage: Sandra Meyndt

In welchem Verhältnis stehen Angebot und Nachfrage?

Im Verhältnis zu den immatrikulierten Studierenden an einer Hochschule haben wir die meisten Erasmus-Studierenden Deutschlands: Zwischen 600 und 700 Freiburgerinnen und Freiburger zieht es Jahr für Jahr ins Ausland. Zu den beliebtesten Zielen gehören Spanien, Frankreich, Italien, Großbritannien und die skandinavischen Länder. Von den Plätzen in Osteuropa bleiben hingegen oft viele unbesetzt. Für Studierende aus den Rechtswissenschaften und der Medizin können wir gar nicht genug Plätze zur Verfügung stellen; in der Soziologie, den Umwelt- und Naturwissenschaften oder in der Philologie sind Auslandsaufenthalte sogar vorgeschrieben.

Und wie viele kommen nach Freiburg?

Bis zu 430 jedes Jahr, davon die allermeisten aus Italien. Am meisten nachgefragt sind die Fächer Deutsch, Medizin und Jura. Auffallend ist, dass im kommenden Sommersemester Studierende aus Großbritannien an zweiter Stelle rangieren; das ist ungewöhnlich. Vielleicht wollen sie vor dem Brexit noch die letzte Gelegenheit nutzen.

EU-Büro der Universität Freiburg

 

„Eine ganz andere Perspektive“

Incomings und Outgoings heißen die Studierenden, die mit dem Erasmusprogramm ins Ausland aufbrechen oder nach Deutschland kommen. Anita Rüffer haben sie von ihren Erfahrungen mit dem Austausch berichtet – und manche waren so von Freiburg begeistert, dass sie einfach geblieben sind.

 

Foto: Klaus PolkowskiRuxandra Stoia, 26 Jahre, Philosophie, aus Iași/Rumänien (Foto: Klaus Polkowski)

„2013 war ich während meines Masterstudiums schon einmal über Erasmus in Freiburg. Jetzt promoviere ich in Philosophie und absolviere hier noch einmal zwei Semester. Diesmal kenne ich mich schon aus. Ich möchte meine Sprachkenntnisse weiter vertiefen. Ich beschäftige mich vor allem mit den alten Philosophen wie Seneca und Marc Aurel und habe mich in Rumänien damit ziemlich allein gefühlt. Die Kolleginnen und Kollegen in meiner Heimat sind vor allem an moderner Philosophie interessiert – in Freiburg kann ich mich mit Gleichgesinnten austauschen. Und ich habe Zugang zu so vielen Büchern! Die neue Universitätsbibliothek ist wunderschön. Ohne Erasmus hätte ich nicht den Mut und das Geld gehabt, um nach Deutschland zu gehen.“

 

Bildunterschrift

Jacopo Mariotto, 35 Jahre, Philosophie, aus Verona/Italien (Foto: Max Orlich)

„Nach meinen beiden Erasmus-Semestern in Freiburg 2012/13 bin ich gar nicht mehr zurückgegangen, sondern einfach hier geblieben – zunächst als Gaststudent und heute als fest angestellter Mitarbeiter im EU-Büro. Ich kümmere mich um die Einführung einer neuen Software, berate Erasmus-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer und pflege Kontakte zu Hochschulen. Es ist manchmal überraschend, wo das Leben einen hinführt. Ohne Erasmus wäre ich nicht hier gelandet.“

 

BildunterschriftFlores Rekowski, 22 Jahre, Pharmazie
(Foto: Klaus Polkowski)

„Ich habe je ein Semester in Manchester/England und in Padua/Italien verbracht. Es war mir schon vorher bekannt, dass meine Studienleistungen nicht voll anerkannt würden. Bei Pharmazeutinnen und Pharmazeuten sind Auslandsaufenthalte eben nicht so häufig. Ich habe es aber trotzdem nicht bereut. Ich habe sowohl fachlich viel mitbekommen als auch Land und Leute kennengelernt. Außerdem haben ich Englisch und Italienisch sprechen gelernt. Jetzt arbeite ich als Hilfskraft im Erasmus-Büro mit, pflege die Kontakte nach Italien und gebe meine Erfahrungen an andere weiter. Das Programm hat mich gelehrt, mich schnell in einem fremden Umfeld zurechtzufinden und offener gegenüber neuen Menschen zu sein.“