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Platz für Ideen

Die Psychologin Andrea Kiesel entwickelt für die Universität Freiburg neue Raumkonzepte, die die Kreativität fördern

Freiburg, 25.02.2019

Ob in der Teeküche oder beim Gang zur Mensa: Die besten Ideen entstehen häufig nicht direkt am Arbeitsplatz. Seine Gestaltung aber kann zu kreativen Höchstleistungen anregen. Prof. Dr. Andrea Kiesel vom Institut für Psychologie entwickelt für die universitäre Zukunftsstrategie „Connecting Creative Minds“ mit Kolleginnen und Kollegen neue Räume, um die Kreativität aller Studierenden, Forschenden und Mitarbeitenden zu fördern. Sonja Seidel hat mit Kiesel darüber gesprochen, was Kreativität kennzeichnet und wie Räume gestaltet sein müssen, damit Menschen ihr kreatives Potenzial voll ausschöpfen können.


Kreativraum: Das Freiburger Zentrum für interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologien bietet offene Bereiche, in denen man sich treffen und besprechen kann. Foto: Ingeborg Lehmann

Frau Kiesel, was genau ist eigentlich Kreativität?

Andrea Kiesel: Aus psychologischer Sicht hat der Begriff zwei verschiedene Bedeutungen. Es kann sich zum einen um ein dauerhaftes Persönlichkeitsmerkmal eines Menschen handeln. Es gibt aber auch ein kreatives Mindset, also einen mentalen Zustand, der sich durch das so genannte divergente Denken kennzeichnet. Dabei denkt der Mensch „out of the box“ verschiedene Möglichkeiten an. Kreativität beruht immer auf Wissen und auf Fertigkeiten, die jemand hat. Diese strukturiert der Mensch im kreativen Prozess um, sodass daraus etwas Neues entstehen kann. Dieser Zustand ist immer funktional. Es geht also nicht um irgendwelche Hirngespinste, sondern um einen freien Denkmodus, der ein Resultat hervorbringen soll.

Was braucht der Mensch, um in diesen Zustand zu kommen?

Es muss ihm zunächst einmal gut gehen. Viele Untersuchungen zeigen, dass Personen in einem positiven Affekt leichter kreativ sind. Der Mensch muss sich in einem physiologisch angenehmen Zustand befinden. Er darf keinen Hunger haben, die Temperatur muss für ihn angenehm sein. Er braucht außerdem eine angeregte Umwelt, aus der er Impulse bekommt. Unsere Universitätsbibliothek bietet das zum Beispiel. Dort gibt es keine viereckigen Räume, keine klare Zimmerstruktur mit Türen. Es gibt unterschiedliche Möbelarten und einen freien Blick nach draußen. Für die Kreativität ist Zeit auch sehr wichtig. Und die Verbindung mit anderen Menschen. Das ist es, was wir mit „Connecting Creative Minds“ erreichen wollen. Wir möchten zeitliche Freiräume schaffen und entsprechende Räume entwickeln, in denen Menschen kreativ arbeiten können.

Manche Unternehmen setzen mittlerweile auf spezielle Räume, in denen Mitarbeitende spielerisch auf neue Ideen kommen sollen, zum Beispiel indem sie sich mit Legosteinen befassen. Fördert das wirklich die Kreativität?

Natürlich kann man ungewöhnliche Instrumente einsetzen, um erst einmal auf neue Ideen zu kommen. Manchmal muss man die üblichen Denkstrukturen erst einmal auflösen. Aber es muss auch zum Problem passen. Wenn ich sage, die Legosteine symbolisieren bestimmte Betriebsprozesse und ich mische und setze sie neu zusammen, kann das vielleicht schon hilfreich sein. Aber es gibt nicht die eine Lösung für Kreativität. Man braucht dafür immer die Expertise und das Wissen, um ein Problem genügend zu strukturieren und aus diesem festgefahrenen System herauszugehen. Das kann ich mit allen Arten von Hilfsmaterialien unterstützen.


Um kreativ zu sein braucht der Mensch Zeit – und die Verbindung mit anderen Menschen, sagt Andrea Kiesel. Foto: Harald Neumann

Was ist die besondere Herausforderung bei Räumen an der Universität?

Die Herausforderung ist, dass man an der Universität verschiedene Arten von Räumen braucht. Wenn ich alleine an einem Projekt arbeite und zum Beispiel programmiere, brauche ich dafür einen Ruhearbeitsplatz. Dort kann ich maximal kreativ für diese spezifische Problemlösung sein. Forschende brauchen solche ruhigen Arbeitsräume. Aber auch Studierende brauchen Plätze, an denen sie alleine lernen oder Hausarbeiten schreiben können. Das ist aber nur noch ein Teil der tatsächlichen Realität an Universitäten. Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten heutzutage in Gruppen. Dafür braucht man Besprechungsräume mit unterschiedlichen Funktionen.

Welche Eigenschaften müssen die Räume haben?

Ich brauche welche, in denen ich erst einmal ganz ausführlich über ein Projekt nachdenken kann, und ich brauche welche, in denen ich mich mit anderen zusammensetze, um Entscheidungen zu treffen. Ich finde im Gebäude des Freiburger Zentrums für interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologien ist es zum Beispiel gut gelungen, verschiedene Räume zu kombinieren. Dort gibt es Labore, dahinter kleine Arbeitsplätze, an denen man schreiben kann, und ruhige Büroräume. In der Mitte sind Bereiche, in denen man sich treffen und besprechen kann. Sowohl in geschlossenen Besprechungsräumen als auch auf offen Flächen.

Was ist Ihnen bei der Planung besonders wichtig?

Wir brauchen mehr flexible Raumkonzepte. Dazu gehören beispielsweise Tische, die man verschieben kann, um Platz für ein Whiteboard zu haben, an dem man Ideen skizziert. Wir haben momentan an der Universität viele Räume für das ruhige Arbeiten, die muss man auch nicht komplett über Bord werfen. Was uns momentan noch fehlt, sind so genannte Open Spaces für gute Besprechungssituationen. Wir müssen die Flächen, die wir haben, kreativer nutzen. Ich denke, wir können dabei mit wenig Aufwand Großes schaffen.

Es geht also darum, den Leuten verschiedene Möglichkeiten zu bieten.

Genau. Eine Überlegung ist zum Beispiel, Orte an der Universität zu finden, an denen sich Menschen sowieso treffen, einfach weil sich ihre Wege kreuzen. Also beispielweise Studierende und Mitarbeitende auf dem Weg zur Mensa. Denn Kreativität entsteht auch an Orten, an denen sich Menschen zufällig aufhalten. Ein klassischer Ort für diese spontane Kreativität sind etwa auch Küchen. Kreativität entsteht aber auch in einem gewünschten Setting, in dem sich eine Gruppe trifft. Die ungeplante Art der Interaktion ist an der Universität oft schwierig. Vielleicht finden wir mit den sich überschneidenden Wegen von Menschen bessere Möglichkeiten, um ins Gespräch zu kommen.

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