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Störfaktor in der Informationsversorgung

Wie „Räuberzeitschriften“ die wissenschaftliche Gemeinschaft herausfordern

Freiburg, 30.07.2018

Störfaktor in der Informationsversorgung

Foto: BillionPhotos/Fotolia

In seriösen Zeitschriftendatenbanken sind sie nicht zu finden, doch Unternehmen verweisen gerne auf Websites, die die Wirksamkeit ihrer Produkte quasi-wissenschaftlich bestätigen: So genannte Predatory Journals („Räuberzeitschriften“) wie „Waset“ und „Omics“ sind mittlerweile nicht mehr nur ein Thema in der wissenschaftlichen Community. Diese betrügerischen Organisationen unterlaufen Standards wie den Peer Review und täuschen wissenschaftliche Redlichkeit vor. Annette Hoffmann sprach mit Dr. Antje Kellersohn, der leitenden Direktorin der Universitätsbibliothek Freiburg, und mit Prof. Dr. Gerd Antes, Mathematiker und Biometriker sowie wissenschaftlicher Vorstand der Cochrane Deutschland Stiftung, der sich seit Jahren mit dem Thema befasst und auch die ARD-Dokumentation „Fake Science. Die Lügenmacher“ wissenschaftlich begleitet hat.

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Frau Kellersohn, warum sind Predatory Journals für Sie als Leiterin einer Universitätsbibliothek ein Thema?

Antje Kellersohn: Wissenschaftliche Zeitschriften im eigentlichen Sinne bilden einen wichtigen Eckpfeiler: Sie sind eine wesentliche Voraussetzung für Forschung und Lehre. Es ist die zentrale Aufgabe einer Universitätsbibliothek, eine bedarfsgerechte Informationsversorgung der Universitätsangehörigen sicherzustellen. Bei der Auswahl und Bereitstellung von Zeitschriften legen wir großen Wert auf ein etabliertes Qualitätssicherungsverfahren, wie zum Beispiel das Peer Reviewing. Wir achten darauf, dass wir kein Geld aus unserem Literaturbudget für Predatory Journals ausgeben. Das gilt selbstverständlich auch für unseren Open-Access-Publikationsfonds.

Gerd Antes: Predatory Journals sind ein sehr spezielles Thema, weil sie in einer insgesamt positiven tiefgehenden Umstrukturierung einen Störfaktor darstellen: Bisher wurde das Lesen wissenschaftlicher Magazine durch Zeitschriften-Abonnements oder andere Formen bezahlt. Dieses Modell wird abgelöst; in Zukunft soll das Schreiben der Beiträge und das Produzieren der Magazine finanziert werden. Die Nutzung wird damit frei. Hier sind neue Lücken entstanden, in die die Predatory Journals mit großer Wucht hineingrätschen.

Kellersohn: In der aktuellen Berichterstattung wird leider einiges in einen Topf geworfen, und man muss verschiedene Facetten unterscheiden. Zum einen geht es um die Verbreitung unseriöser, teilweise gefälschter Informationen in Predatory Journals, um diesen Zeitschriften einen vermeintlich wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Das ist illegal und unethisch. Zum anderen hat sich herausgestellt, dass einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler regelmäßig in derartigen Zeitschriften veröffentlichen, beispielweise um langwierige Review-Verfahren zu umgehen. Das ist höchst fragwürdig, selbst wenn es am eigentlichen Inhalt der Artikel nichts auszusetzen gibt.

„Erfahrene Autorinnen und Autoren mit mehr als einer Publikation in solchen Zeitschriften sind in erheblicher Erklärungsnot“: Gerd Antes zieht Forschende in die Verantwortung.
Foto: Harald Neumann

Die Medien berichten von einem dramatischen Anstieg von Publikationen in Predatory Journals in einer Größenordnung von 40 Prozent.

Kellersohn: Dieser Trend ist besorgniserregend. Aber lassen Sie mich zur besseren Einordnung ein paar Zahlen nennen. Allein im Jahr 2016 haben wir 4.000 Artikel von Freiburger Wissenschaftlern in seriösen Fachjournalen nachgewiesen, 20 Prozent davon wurden im Open-Access publiziert. Lediglich zwei Freiburger Wissenschaftler haben in „Omics“ publiziert – damit bewegen wir uns im Promillebereich. Weltweit schätzt man den Anteil von Artikeln in Predatory Journals auf ein bis zwei Prozent. Es handelt sich also um Einzelfälle, dennoch muss man die Entwicklung beobachten und gegensteuern.

Antes: Ich bin da nicht so nachsichtig. Es ist ein bequemer Fluchtweg, Naivität vorzutäuschen. Jungen Wissenschaftlern würde ich diese Naivität zubilligen, doch dann versagen die etablierten Forschenden in ihrer Kontrollfunktion. Erfahrene Autorinnen und Autoren mit mehr als einer Publikation in solchen Zeitschriften sind in erheblicher Erklärungsnot.

Woran können Wissenschaftler schwarze Schafe erkennen?

Kellersohn: Betroffene Wissenschaftler berichten, dass Artikel ohne jegliche Überarbeitung angenommen und freigeschaltet werden, bevor die Autorinnen und Autoren die Beiträge überhaupt freigegeben haben. Bei der Einladung zur Veröffentlichung – häufig per Mailanfrage – ist von Kosten keine Rede, im Nachgang kommt dann eine Rechnung. Vielen Betroffenen ist das offenbar peinlich, dabei wäre es wichtig, dies publik zu machen. Wir empfehlen, im Zweifelsfall eine so genannte „White List“ wie beispielsweise das Directory of Open Access Journals zu konsultieren. Dort werden nur Titel mit einem etablierten Qualitätssicherungsverfahren gelistet.

Können die Universitäten und die wissenschaftliche Gemeinschaft das Problem eigenständig lösen, oder braucht es die Politik?

Antes: Das eigentliche Problem ist, dass wir an den Universitäten falsche Belohnungsmechanismen haben. Wir belohnen zu viel Masse statt Klasse. Einschränkungen auf eine geringe Zahl relevanter Veröffentlichungen anstatt 25-seitiger Listen sind eher die Ausnahme als die Regel. Das gilt nicht nur für die persönliche Karriere, sondern auch institutionell. Wir in der Medizin haben eine leistungsorientierte Mittelvergabe, für die die Publikationsmenge ein entscheidender Faktor ist. Die wird an dem seit Jahren heftig kritisierten Impaktfaktor gemessen und schafft ein Klima, in dem die Menge zählt.

Kellersohn: Die aktuelle Diskussion wird den Betreibern dieser Journale hoffentlich das Geschäft verderben. Aber betrügerische Auswüchse und Fälschungen hat es im Publikationswesen schon immer gegeben, und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die derzeit in diesem Zusammenhang vorgebrachte Behauptung, die Umstellung zum Open Access sei die Ursache des Problems, halte ich allerdings für besorgniserregend. Bei unseren Verhandlungen mit den Verlagen Elsevier, SpringerNature und Wiley im Rahmen von DEAL fordern wir nicht nur, dass die Veröffentlichungen der Wissenschaftler aus Deutschland im Open Access freigeschaltet werden, sondern auch eine konsequente Fortführung der etablierten Qualitätssicherung.

„Die Universitätsbibliothek Freiburg hat bereits begonnen, die Thematik in ihre etablierten Lehr- und Beratungsangebote zur Informationskompetenz für die Studierenden und den wissenschaftlichen Nachwuchs einzubinden“, sagt Antje Kellersohn.
Foto: Harald Neumann

Warum ist es heutzutage so schwer, eine Lüge als solche zu bezeichnen?

Antes: Inzwischen spreche ich von einer „Trumpisierung“ in der Wissenschaft. Diesen Zeitgeist – Donald Trump ist ja nur ein Symptom – finden wir auch in der Wissenschaft. Auch wenn es nur zwei Prozent sind. Wir brauchen öffentliche Mittel, um Forscherinnen und Forschern Orientierungshilfen in Form von Positivlisten von Zeitschriften – gegebenenfalls auch Negativlisten – zu geben. Die Institutionen müssen dann kontrollieren, dass diese Vorgaben auch beachtet werden.

Kellersohn: Auf der Basis von detaillierten Studien über die Entwicklung der Predatory Journals und deren Nutzung müssen wir Gegenstrategien entwickeln. Negativlisten stehe ich aber kritisch gegenüber. Die Universitätsbibliothek Freiburg hat bereits begonnen, die Thematik in ihre etablierten Lehr- und Beratungsangebote zur Informationskompetenz für die Studierenden und den wissenschaftlichen Nachwuchs einzubinden. Für das kommende Wintersemester bereiten wir zudem einige spannende Veranstaltungen zu diesem Thema vor.

ARD-Dokumentation „Fake Science. Die Lügenmacher“

Interview mit Antje Kellersohn zu den DEAL-Verhandlungen

 

Predatory Journals erkennen

Betrügerische Publikationspraktiken vorgeblich wissenschaftlicher Verlage durchschauen: Die Universitätsbibliothek (UB) Freiburg hat auf ihrer Website Hinweise, wie sich unseriöse oder zweifelhafte Zeitschriften erkennen lassen, zusammengestellt.

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