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Ambivalente Töne

Studierende der Soziologie haben einen Audioguide über den Platz der Alten Synagoge erarbeitet

Freiburg, 25.09.2019

Der Platz der Alten Synagoge in der Stadtmitte Freiburgs ist ein Treffpunkt für Jung und Alt, Veranstaltungsort für Kultur und Politik sowie Gedenkstätte für das im Nationalsozialismus zerstörte jüdische Gebetshaus. Für 16 Soziologiestudierende wurde der Platz im vergangenen Jahr darüber hinaus auch zum Forschungsort. In einem Seminar zum Thema „städtischer Raum“ hat sich die Gruppe an seinem Beispiel mit der Frage beschäftigt, wem der öffentliche Raum gehöre. Dabei ist ein Audioguide entstanden, der Interessierten kostenlos Informationen über den Platz bietet.


Energiegeladen und gut besucht: Der Platz der Alten Synagoge ist zu einem Treffpunkt für Jung und Alt geworden. Foto: Thomas Kunz

Eine Forschungsidee entwickeln, die Ergebnisse aufbereiten und die theoretische Rückbindung nicht vergessen: In zwei Semestern haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars alle Arbeitsschritte eines qualitativen Forschungsprojekts umgesetzt. „Das empirische Forschungspraktikum mit Werkstattcharakter sollte den Studierenden eine ganzheitliche Erfahrung bieten“, erklärt Dr. Christine Kimpel vom Institut für Soziologie. Das heißt: Die Studierenden haben ihr theoretisches Wissen in die Praxis umgesetzt, indem sie zum Beispiel ihre Fragestellung in ein passendes Forschungsdesign übertrugen, Interviews mit Nutzerinnen und Nutzern des Platzes führten und transkribierten, Beobachtungsprotokolle erstellten und die Daten auswerteten.

Sechs Stationen

12 Studierende haben sich gegen eine klassische Hausarbeit entschieden und stattdessen ihre Ergebnisse in einem 45-minütigen Audioguide zusammengefasst, der den Platz der Alten Synagoge anhand von sechs Stationen vorstellt. Er verbindet Hintergrundinformationen mit Originaltönen von Interviewten und verleiht dadurch auch jenen eine Stimme, die im Alltag weniger Gehör finden. Der Förderverein Alumni Freiburg e. V. hat das Projekt unterstützt. Nun können Interessierte den Audioguide kostenlos herunterladen und zum Beispiel auf ihrem Smartphone nutzen.

Der Freiburger Verein Kommunikation und Medien hat die Umsetzung des Audioguides medienpädagogisch betreut. „In verschiedenen Workshops konnten die Studierenden ihre Medienkompetenzen vertiefen und mehr über Interviewführung oder Audioschnittprogramme lernen. Zudem wurden sie dafür sensibilisiert, wissenschaftliche Erkenntnisse zielgruppengerecht aufzubereiten“, sagt Kimpel. Als weitere Vorteile nennt sie unter anderem den Blick über den Tellerrand und das Erlernen nützlicher Tools zum Zeit- sowie Projektmanagement.


Die Freiburger nutzen den Ort zum Lesen, Entspannen oder Plaudern. Foto: Thomas Kunz

Ein Ort, der polarisiert

Zu welchen Ergebnissen kamen die Studierenden? Die Feldforschung habe gezeigt, dass öffentliche Räume auch im digitalen Zeitalter für Menschen bedeutsam seien – wenngleich die einzelnen Meinungen häufig auseinandergingen. „Der Platz der Alten Synagoge ist ein Ort, der polarisiert und von seiner Ambivalenz lebt. Die Leute nehmen seine offene Gestaltung und seinen lebendigen Charakter positiv wahr“, erläutert die Seminarleiterin. „Gleichzeitig wurde kritisiert, dass ihn eben diese Weite für alle einsehbar mache. Lebens- und Kleinkünstler gaben an, sich dort nicht willkommen zu fühlen.“ Als Beispiel verweist Kimpel auf einen Fahrradkünstler, der laut eigener Aussage sein Können vor Ort nicht zeigen dürfe.

Beitrag zum öffentlichen Diskurs

Auch im Hinblick auf die Gedenkstätte, die mit einer Wasserfläche den Grundriss der einstigen Synagoge nachzeichnet, herrsche Uneinigkeit: Die einen störten sich an der Architektur und den darin spielenden Kindern, andere äußerten Verständnis. „Die im Audioguide genannten Ansichten verdeutlichen, dass öffentliche Räume sowohl die Gesellschaft als auch das Spannungsfeld zwischen gebautem, gelebtem und gedachtem Raum widerspiegeln“, erklärt Kimpel. „Dabei können sich die Sichtweisen ändern. Einige Studierende haben den Platz vorab als gegeben wahrgenommen. Da er jetzt Teil ihrer Geschichte ist, hat sich auch ihr Bezug dazu geändert.“ In diesem Sinne sei der Audioguide auch als Beitrag zum öffentlichen Diskurs zu verstehen und lade seine Hörerinnen und Hörer dazu ein, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen.

Kristin Schwarz

Audioguide zum Download