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Kontrollierte Sprengung oder Aliens?

Deborah Wolf, Doktorandin an der Universität Freiburg, untersucht Verschwörungstheorien zu den Anschlägen am 11. September 2001

Freiburg, 07.09.2020

Vor 19 Jahren entführten Terroristen in den USA vier Flugzeuge und verübten die schwersten Anschläge, die die Vereinigten Staaten von Amerika bislang erlebten. Fast 3.000 Menschen kamen an diesem Tag zu Tode und die Welt verfolgte die Ereignisse live vor dem Fernseher. Bis heute sind die Anschläge Anlass für zahlreiche Verschwörungstheorien. Deborah Wolf, Doktorandin am Graduiertenkolleg „Faktuales und fiktionales Erzählen“ der Universität Freiburg, untersucht diese Konspirationstheorien in ihrer Dissertation. Im Interview mit Lara Wehler spricht sie über die unterschiedlichen theoretischen Ansätze und wie Plattformen wie YouTube deren Verbreitung unterstützen.


Lichtsäulen erinnern nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York an die Opfer. Foto: rabbit75_fot / stock.adobe.com

Frau Wolf, welche Verschwörungstheorien gibt es zum 11. September 2001?

Deborah Wolf: Die bekanntesten Verschwörungstheorien dazu behaupten, dass die Regierung der USA die Anschläge verübt hat, um einen Grund für den Irakkrieg und die Überwachung der Bevölkerung zu schaffen. Eine andere Theorie sagt, die US-Regierung wusste von den Angriffen und verhinderte sie nicht. Einige Aspekte nennen Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker besonders häufig. Zum Beispiel, dass das World Trade Center durch eine kontrollierte Sprengung eingestürzt sei. Die Theorien sind sehr unterschiedlich, es gibt auch abstrusere. Manche behaupten, Aliens seien für die Anschläge verantwortlich gewesen. Sie hätten Menschen für ihre Experimente aus den Zwillingstürmen entführt und diese zum Einsturz gebracht.

Was gilt aus wissenschaftlicher Sicht als Verschwörungstheorie?

Es gibt verschiedene Definitionen dieses Begriffs. Ein Ansatz ist, bestimmte Merkmale zusammenzufassen: eine Gruppe, die einen geheimen Plan verfolgt, um der Bevölkerung zu schaden. Diese vermeintlichen Intrigen decken die Verschwörungstheoretiker auf. Eine andere Möglichkeit ist, die Theorien schlussfolgernd, also diskursiv, zu bestimmen. Solche Ansätze nehmen immer eine Gegenposition zum Mainstream ein und gehen generell von Anfang an von einer Verschwörung aus. Beweise für die offizielle Version werden entweder widerlegt oder als gefälscht dargestellt. Manche Theoretiker entwerfen dann eine alternative Erzählung oder sie belassen es dabei, die offizielle infrage zu stellen. Verschwörungstheorien sind organisch und beziehen sich oft aufeinander.

Was ist das Besondere, wenn solche Thesen als Video präsentiert werden?

Ein Video ist natürlich eine neuere technische Entwicklung und typisch für Verschwörungstheorien der Gegenwart. Viele Amateurinnen und Amateure können selbst Videos erstellen und verbreiten. Das Besondere daran ist die Kombination von visuellen und auditiven Komponenten. Videos in denen es um Verschwörungstheorien geht, arbeiten mit Elementen aus Dokumentarfilmen, um glaubwürdiger zu wirken. Dazu gehören zum Beispiel das Voiceover, also eine Sprechstimme, die über der eigentlichen Tonaufnahme liegt, Bilder, in denen etwas markiert ist, Grafiken, Tabellen und Zahlen. Diese Elemente werden so zusammengesetzt, dass sie die Zuschauerinnen und Zuschauer überfordern.

Überfordern inwiefern?

Schnelle Schnitte, Bildkombinationen, Musik, Voiceover, das sind alles Stressreize. Meistens bricht das Bild nach dieser Überforderung ab. Es wird schwarz und eine ruhige Stimme vermittelt die Botschaft. Mit dieser Kombination sollen Zuschauer empfänglicher für das Argument werden. Denn im Gegensatz zu Dokumentarfilmen wollen diese Videos nur ein Argument vermitteln. Dafür wird viel mit affektiven Momenten gearbeitet.


Manche behaupten, Aliens seien für die Anschläge am 11. September 2001 verantwortlich, sagt Deborah Wolf, die in ihrer Dissertation konspirative Theorien untersucht. Foto: Klaus Polkowski

Welchen Einfluss haben das Internet und speziell Plattformen wie YouTube auf die Verbreitung von konspirativen Theorien?

Verschwörungstheorien gibt es schon lange, sie sind kein Phänomen des Internets. Die Wissenschaft ist sich allerdings nicht einig darüber, ob sie eine anthropologische Konstante oder ein Phänomen der Aufklärung sind. Verschwörungstheorien wurden schon immer über die Medien verbreitet. Beim Internet kommt hinzu, dass die Zugangsschwelle nochmal niedriger ist, weshalb die Theorien zunehmend sichtbarer wurden. Gerade Plattformen wie YouTube sorgen für die Verbreitung. Das konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer quantitativen Untersuchung nachweisen.

Wie genau haben sie das gemacht?

Der Algorithmus von YouTube sortiert die Ergebnisse nach eigenen Kriterien. Die Plattform bezeichnet das als Relevanz. Zu diesen Aspekten gehört zum Beispiel, wie die Videos rezipiert werden. Der Algorithmus ist aber so komplex, dass wir die Kriterien nicht nachvollziehen können. Verschwörungstheoretische Videos werden den Nutzerinnen und Nutzern besonders oft vorgeschlagen. Das liegt möglicherweise daran, dass diese Videos stärker rezipiert werden, etwa durch Diskussionen in den Kommentaren. Forscherinnen und Forscher stellten zudem fest, dass ein so genannter Click Hole Effekt entsteht. Das heißt, wenn Sie ein verschwörungstheoretisches Video anschauen, dann schlägt Ihnen die Autoplay-Funktion von YouTube noch mehr solcher Videos vor und die Vorschläge werden immer extremer.

Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?

Meine These ist, dass YouTube vor allem ein Medium ist, um Reichweite zu genieren und Menschen für Verschwörungstheorien anzuwerben. Andere Plattformen vernetzen die Theoretiker und begünstigen so die Entwicklung einer Community. Der Einfluss des Internets auf Theorien zum 11. September hängt auch damit zusammen, dass das Ereignis passiert ist, als das Internet aufkam. Die Aufarbeitung der Anschläge fand zum Teil im Internet statt.

Wieso gibt es so viele unterschiedliche Verschwörungstheorien zum 11. September 2001?

Der 11. September war ein Medienereignis. Also ein Geschehen, bei dem die Medien nicht nur darüber berichteten, sondern selbst daran teilnahmen. Ereignis und Medien beeinflussten sich gegenseitig. Das eignet sich für Verschwörungstheorien, die Medien grundsätzlich unter Verdacht stellen. Sie reagieren auf individuelle und kollektive Ängste. Wenn jemand die Welt nicht versteht, weil sie zu komplex oder zu widersprüchlich ist, bieten Verschwörungstheorien eine schlüssige Erklärung. Die Theorien zum 11. September begünstigte auch der Umstand, dass die Aufklärungsarbeit der US-Regierung nicht optimal war und es im Nachhinein viele Unsicherheiten gab.

Video: Deborah Wolf zu Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus