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Trockenzeit in der Biosphäre 2

Versuche im künstlichen Regenwald zeigen, wie Pflanzen auf Stress reagieren

Freiburg, 15.01.2020

Unter der Glaskuppel des Forschungszentrums Biosphäre 2 arbeitet seit einigen Monaten ein Team der Universität Freiburg im Projekt „WALD – Water Atmosphere And Life Dynamics“. Die Forschenden markieren jede einzelne Pflanze im dortigen tropischen Regenwald, schließen sie an Untersuchungsgeräte an — und stellen ihnen schließlich das Wasser ab. So können die Forschenden in Echtzeit beobachten, wie sich die Moleküle im Pflanzeninneren fortbewegen, auch in einem Stresszustand. Damit wollen sie eine wichtige Frage beantworten: Was passiert, wenn es im Regenwald nicht mehr regnet?


In Arizona/USA wächst seit 30 Jahren unter einer Glaskuppel ein Regenwald. Hier untersucht ein Team aus Freiburg, wie Pflanzen während ihres Stoffwechsels Moleküle verarbeiten. Foto: B2 Wald/Biosphere 2

Schon seit Wochen verzichtet Prof. Dr. Christiane Werner auf Parfum, Deo, Haarspray und Sonnencreme – genau wie ihr Team. Der Grund für diesen Minimalismus ist die Wissenschaft, denn aus den Produkten treten flüchtige Substanzen aus, die wichtige Messungen verfälschen können. Diese Messungen finden in einem Komplex statt, den Werner „kleine Erde“ nennt: eine Forschungsstation namens „Biosphäre 2“ mitten in Arizona/USA mit einem in Beton gegossenen Fundament und einer riesigen Glaskuppel. Hier wächst seit 30 Jahren ein tropischer Wald, in dem es auch Flüsse und einen Wasserfall gibt. Die Bäume sind inzwischen 25 Meter hoch. Die Basisstation der Forscherinnen und Forscher liegt in einem kleinen künstlichen Hügel inmitten des Regenwaldes. Der durfte sich in den vergangenen Jahrzehnten fast frei von menschlichen Einflüssen entwickeln. Vegetation, Bodenformationsprozesse und Mikrobiologie sind nicht gemanagt worden und bilden jetzt ein in sich geschlossenes Ökosystem. „Wir haben hier einen idealen Mix aus Labor und Freiland“, sagt Werner, die am Institut für Forstwissenschaften der Universität Freiburg lehrt und forscht. Sie interessiert sich dafür, wie der Stoffwechsel von Pflanzen verschiedene Moleküle verarbeitet und wie dieser Vorgang Ökosysteme beeinflusst. Doch Werner betrachtet dabei nicht nur den Normalzustand der Pflanzen, sondern auch und vor allem Situationen, in denen sie durch klimatische Extrembedingungen wie Dürre oder Frost unter Stress stehen.

Auswirkungen von Trockenperioden

Diese Bedingungen können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Biosphäre 2 simulieren. Werner und ihr Team haben gerade vier Monate lang untersucht, wie sich anhaltende Trockenperioden auf die Vegetation auswirken. Sie legten Wasserfall und Fluss trocken und enthielten den Pflanzen so wochenlang eine Lebensgrundlage vor. Danach wurde Biosphäre 2 – minutiös geplant und dokumentiert – wieder mit Wasser versorgt. Während der gesamten Zeit erfassten die Forschenden, wie sich beispielsweise Atmosphäre, Frischluftgehalt oder Temperatur veränderten. Die Freiburger Professorin koordiniert das Projekt gemeinsam mit ihrer Assistentin Dr. Nemiah Ladd und mit Dr. Laura Meredith von der Universität Arizona, der Direktorin des Biosphären-Tropenregenwaldes. Insgesamt arbeiten 82 Forscher, von Masterstudierenden bis zu Professoren, aus 20 Arbeitsgruppen und 13 Institutionen in Deutschland, den USA, der Schweiz, Österreich und Schottland am B2-WALD-Projekt mit. „WALD“ steht dabei für „Water, Atmosphere and Live Dynamics“. Zur Finanzierung nutzt Werner den Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats, den sie 2015 erhielt. Infrastruktur, Techniker und Unterkünfte stellt Biosphäre 2.


Jede Pflanze wird an die Versuchsgeräte angeschlossen. So erhalten die Forschenden Ergebnisse in Echtzeit. Foto: B2 Wald/Biosphere 2

Interaktion zwischen Pflanzen

Bei dem B2-WALD-Projekt des Freiburger Teams stehen so genannte flüchtige organische Verbindungen, kurz BVOC (Biogenic Volatile Organic Compounds), besonders im Fokus. „Pflanzen tauschen nicht nur Kohlendioxid und Wasserdampf aus, sondern geben auch solche flüchtigen Verbindungen in die Atmosphäre ab“, sagt Werner. „Wir gehen davon aus, dass diese für Pflanzen gewisse Schutzmechanismen sowie eine Art Signal in der Atmosphärenchemie darstellen, das der Kommunikation zwischen den Pflanzen dient.“ Wie einzelne Pflanzen miteinander interagieren und sich – vermutlich über Blätter, Wurzeln und die Bodenmikrobiologie – verständigen, versuchen die Wissenschaftler herauszufinden. Dabei stoßen sie immer wieder auf Überraschendes: So geben Wurzeln beispielsweise BVOC ab, doch diese Verbindungen können nicht im selben Maß, in dem sie emittiert werden, in den Bodenflüssen oder der Atmosphäre gemessen werden. „Da liegt der Verdacht nahe, dass die Bodenmikroben von den BVOC profitieren und sie beispielsweise als Energiequelle nutzen“, sagt Werner. Was also spielt sich genau in dieser Rhizosphäre ab, wie die bis zu vier Millimeter große Zone um eine lebende Wurzel herum genannt wird? Warnen sich Pflanzen gegenseitig vor Gefahren? Geben sie Informationen weiter, zum Beispiel die, dass ab sofort besonders sorgsam mit den noch vorhandenen Wasservorräten umgegangen werden muss?

Wissenschaftliches Detektivspiel

Ganz grob, so Werner, wisse man bereits, wie Dürren sich auf Wälder auswirkten. „In Deutschland haben wir das ja erst im vergangenen Jahr sehr deutlich erlebt.“ Was die Wissenschaftler jedoch noch nicht gut verstehen, sind die Interaktionen und Kommunikationsprozesse. Das sei aber nachvollziehbar, wenn man sich bewusst mache, wie ungeheuer komplex jedes Ökosystem sei, sagt Werner. „Sie müssen sich vorstellen, dass jede winzige Änderung, jede Veränderung an einer kleinen Stellschraube automatisch zahlreiche Wechselwirkungen mit sich bringt.“ Was Ursache und was Wirkung ist, wie einzelne Prozesse ablaufen, was eine Veränderung im Boden mit neuen Zuständen in der Atmosphäre zu tun hat – unzählige solcher kleinen Details ins große Ganze zu setzen, das ist das Detektivspiel, das die Professorin so liebt: „Ich möchte nicht nur beschreiben, sondern erklären können, welche Komponente welche Rolle spielt.“


Messungen mit Wasserversorgung und bei Dürre: Untersucht werden die Pflanzen nicht nur in ihrem Normalzustand, sondern in Situationen, in denen sie gestresst sind durch klimatische Extrembedingungen. Foto: B2 Wald/Biosphere 2

Beobachtungen in Echtzeit

Die Basis für diese Arbeit liefert unter anderem die Technik. Werner und ihre Kolleginnen und Kollegen ließen 20 Hightech-Geräte in die USA bringen, um in dem weltweit einzigartigen Komplex Daten sammeln zu können. Unter anderem mithilfe von Laser- und Massenspektrometern kann das Team in Echtzeit verfolgen, welchen Weg einzelne Atome, BVOC und Kohlendioxid in den Pflanzen nehmen. Die Wissenschaftler können im Minuten- und Stundentakt beobachten, wie Bäume und Sträucher in der Biosphäre 2 auf veränderte Bedingungen reagieren. „Da fiebert immer jeder mit“, sagt Werner. Die Technik ermöglicht dem Forschungsteam außerdem, in Echtzeit die Ergebnisse des so genannten Isotopenlabeling zu verfolgen: Dabei werden Wasser und Kohlendioxid markiert, sodass ihre Bewegungen innerhalb des Ökosystems nachvollziehbar sind. Dazu haben die Forscher zu Beginn den Wald luftdicht verschlossen und morgens markiertes Kohlendioxid in die Luft geblasen. Das Kohlendioxid wurde innerhalb kurzer Zeit in die Blätter und die BVOC aufgenommen, und die Forscher konnten beobachten, wie es über Tage von den Baumkronen über die Stämme in den Boden geleitet wurde. Am Ende der Trockenzeit wiederholten sie den Versuch mit der doppelten Menge an markiertem CO2. Die stabile Isotopenmarkierung ermöglicht auch langfristigere Untersuchungen. So kann beispielsweise in den kommenden Jahren analysiert werden, wie lange der Kohlenstoff im Boden stabil bleibt. Nach der künstlich herbeigeführten Dürreperiode wurde die Biosphäre 2 von unten wieder bewässert. So können die Forschenden der Frage nachgehen, wie wichtig tief wurzelnde Pflanzen und Bäume für das Ökosystem sind.

Einfluss auf das Gesamtökosystem

Spannend ist auch der Aspekt der Diversität. „Offenbar verhält es sich so: Je diverser ein Wald ist, umso besser sind seine Antworten gepuffert – er kann also besser mit Veränderungen im Ökosystem umgehen als ein homogener Wald“, erläutert Werner. Zu klären, welche Arten dabei welchen Einfluss auf den Gesamtökosystemfluss haben, gehört zu den Aufgaben der Wissenschaftler. Doch diese und viele andere Fragen werden noch eine Weile unbeantwortet bleiben, denn solange das Experiment mit der „kleinen Erde“ läuft, gibt es für alle Beteiligten nur eine Aufgabe: messen, was nur geht, Daten erfassen, beobachten, Proben nehmen. Ausgewertet werden all diese Informationen später. Langweilig wird es den Forschenden dennoch nicht: Klimaanlagen fallen aus, Geräte stürzen ab, und bei den vier Kilometer Teflonschläuchen, die im Biospherä-2-Wald verlegt sind, hakt es auch immer wieder. „Die Koordination dieses Projekts ist eine enorme Herausforderung. Ich bin nur am Werkeln und Organisieren, weil eigentlich immer irgendwo irgendwas ist“, sagt die Freiburger Professorin. Und schiebt gleich hinterher, weshalb sie dennoch mit Begeisterung dabei ist: „Ein so verrücktes Experiment habe ich noch nirgendwo sonst gesehen.“

Claudia Füßler

 

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