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Die Phasen eines Flickflacks

Ein Projekt zum Turnen an Geräten ergänzt digital den Sportunterricht

Freiburg, 03.12.2020

Die Plattform, die der aktuellen Zeit voraus war: Ein Projekt der Sportwissenschaften beweist in der Pandemie, dass auch in diesem Bereich die Lehre durch digitale Angebote sinnvoll ergänzt werden kann. Am Beispiel einer Kernsportart, dem Gerätturnen, erproben Lehrende und Studierende theoretische Inhalte, um diese stärker mit sportpraktischen Übungen zu verbinden. Darüber hinaus entwickeln sie dazu digitale Lerninhalte für andere Studierenden sowie Sportlehrerinnen und -lehrer.

Flavio Bessi assistiert Studierenden bei den korrekten Bewegungsabläufen für Handstandüberschlag, Salto und Flickflack – nun auch digital. Foto: Alex Koch 

„In einer Doppelstunde lässt sich gut ein Salto oder ein Flickflack lernen“, sagt Dr. Flavio Bessi mit Überzeugung. Die Frage ist nur, wie. Bessi lehrt am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Albert-Ludwigs-Universität Gerätturnen. Viel Erfahrung mit Didaktik hat er aus seiner Zeit als Bundes- und Landestrainer. Er weiß, dass beim Gerätturnen nichts ohne Grundlagen geht und dass Sportstudierende diese in der Regel mitbringen: „Ein Überschlag beginnt nicht beim Überschlag, sondern mit der Schaffung von Leistungsvoraussetzungen. Es braucht Kraft, Koordination und Orientierungsfähigkeit“, sagt Bessi. Und dennoch, solche Komplexität schreckt Turnerinnen und Turner zunächst ab. Beginnen sie jedoch, den Ablauf eines Überschlags in Phasen zu unterteilen, realisieren sie, dass die einzelnen Schritte gut machbar sind – und dadurch wächst das Gefühl, es schaffen zu können.

Bessi bezeichnet sich selbst als visuellen Menschen. Während seiner Lehrtätigkeit hat er viel Bildmaterial gesammelt, sowohl für die Lehre als auch im Rahmen von wissenschaftlichen Publikationen. Sport sei geradezu dazu prädestiniert, mit Visualisierungen zu arbeiten, sagt Bessi. Diese Erfahrung ist in den Antrag zu „DoppelfOERderung. Lernen durch Lehren an und mit Geräten“ von ihm und Prof. Dr. Albert Gollhofer eingeflossen. Die Universität Freiburg zeichnete das Projekt, das auch digital Lerninhalte vermittelt, im vergangenen Herbst mit ihrem Lehrentwicklungspreis Instructional Development Award (IDA) aus. Der IDA ist mit 70.000 Euro dotiert ist.

Auf der Lernplattform, die auch auf Handy und Tablet abrufbar ist, zeigen Filmaufnahmen die Übungen in Echtzeit. Foto: Alex Koch 


Material auf Handy und Tablet

In Bessis Büro hängt eine von ihm gezeichnete Mindmap des Projektes. Neben den eingebauten Videos finden die Studierenden auf der Lernplattform Grafiken, webbasierte Übungsprogramme und Arbeitsblätter sowie Quiz, die einen spielerischen Zugang zu dem Stoff ermöglichen sollen. Ein Belohnungssystem für den ersten eingereichten oder den besten Beitrag wurde von den Studierenden nicht so gut angenommen wie im Vorfeld erwartet, musste Bessi jedoch feststellen. Mit dem Angebot seien sie der Corona-Zeit voraus gewesen, sagt er. Das Projekt ist Teil einer weit gespannten Digitalisierungsoffensive in der Lehre, die, so schränkt Bessi ein, oft nicht ganz so offensiv wirke. Ziel ist es, neuartiges Lehrmaterial für das Gerätturnen zu schaffen, das auf Handys, Tablets und Computern läuft und teilweise von den Studierenden selbst generiert wird. Dass hier noch Verbesserungsbedarf besteht, ist sich Bessi sicher. „Wir unterrichten digital natives, doch die digital readiness ist in unserer Gesellschaft noch nicht sehr hoch“, sagt Bessi.

Der Name „DoppelfOERderung. Lernen durch Lehren an und mit Geräten“ ist nicht nur in Bezug auf die Geräte doppeldeutig, er beschreibt auch die Wechselwirkung zwischen Lernen und Lehren. Darüber hinaus spielt der Titel auf das baden-württembergische Netzwerk für die Digitalisierung der Lehre OER (Open Eductional Resources) an, das die Universität Tübingen initiierte und den Lehrenden und Studierenden des Bundeslandes zur Verfügung stellt. Sie alle können diese Ressourcen nutzen, sie an ihre jeweiligen Bedürfnisse anpassen und später im Unterricht einsetzen. Auf diese Weise könnte das erarbeitete Wissen durch Referendarinnen und Referendare und Lehrpersonen in die Schulen sickern, erklärt Bessi, sodass auch die Schülerinnen und Schüler davon profitieren könnten.  

Vorteil für Schulen in der Pandemie

Wie sinnvoll diese Plattform und generell digitales Lehrmaterial ist, hat Niklas Scherer in den letzten Wochen unmittelbar erfahren. Scherer studiert Sport und Englisch und ist Teilnehmer des Kurses. Gerade macht er ein Praxissemester am Städtischen Gymnasium Ettenheim. Den Sportunterricht möglichst kontaktlos zu gestalten ist für alle Neuland und bedeutet für alle Lehrenden einen erheblichen Mehraufwand, erzählt er. Insbesondere, wenn es auf das Virus SARS-CoV-2 positiv getestete Schüler oder Lehrer an der Schule gibt, weil dann neben dem Präsenzunterricht auch digitales Lernmaterial vorbereitet werden müsse. „Die Frage, wie wir es schaffen können, Lehre mit anderen Medien durchzuführen, ist gerade brandaktuell“, lautet seine Einschätzung. Eine Plattform wie die von Bessi hält Scherer deshalb auch für andere Fächer sinnvoll.

Im Rahmen des Seminars am Sportinstitut hat er sich mit dem Unterricht an der gymnasialen Oberstufe und dem Bildungsplan befasst und zusammen mit einem Kommilitonen einen Beitrag zum Thema „Leisten und Bewerten“ erstellt. Obgleich ihr Zugang eher theoretisch war, haben sie auf die von Bessi auf der Plattform zur Verfügung gestellten Daten zurückgegriffen. Wie sie es einsetzten, war dabei ihrer eigenen Kreativität überlassen. Andere haben, ergänzt Bessi, eine Internetseite für einen Blog entworfen. „Wer lehrt, lernt mehr“, davon ist er überzeugt. Das zeige auch das Modell des Didaktikers Jean-Paul Martin. Weitere Veranstaltungen, die in das Projekt einbezogen sind, waren der Vertiefungskurs und Aufbaukurs Gerätturnen im Bachelorstudiengang. Grundsätzliches Ziel ist, betont Bessi, sportfachliches, sportwissenschaftliches und mediendidaktisches Wissen miteinander zu verzahnen.

Bewegungsabläufe in Echtzeit

Während die Pandemie derzeit beweist, wie relevant die digitale Lehre für die Praxis ist, geriet der Zeitplan des Projektes gerade deshalb durcheinander: Da am Institut im Frühjahr die theoretischen Lehrinhalte vorgezogen wurden, war die Halle, als im Juni der Lehrbetrieb in Präsenz zwischenzeitlich wiederaufgenommen werden konnte, von Studierenden belegt. Deshalb konnte das Team in dieser Zeit keine Aufnahmen für die Plattform machen. Sobald Bessi über die Möglichkeiten von Filmtechniken spricht, klingt er begeistert: „Wir können heute in Echtzeit sehen, wie sich eine Person bewegt“, sagt er. Das Trackingverfahren Vicon, das Gollhofer und sein Team in ihrer Abteilung am Sportinstitut für viele Untersuchungen verwenden, kann Bewegungen in einer Allumsicht erfassen und aufzeichnen. Lehrende und Studierende können so den Bewegungsablauf diskutieren und reflektieren, und sehen, wie die Muskeln arbeiten und welche Kräfte auf den Körper wirken. Das hilft, um zu wissen, auf was es bei einem Salto oder einem Flickflack ankommt. Und so viele Einblicke lassen sogar einen Doppelsalto näher rücken.

Annette Hoffmann

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