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„Einen Studienabbruch als Scheitern anzusehen hilft niemandem weiter“

Warum Zweifel an der Studienwahl normal sind und ein Abbruch keinen Weltuntergang bedeutet

Freiburg, 02.11.2017

„Einen Studienabbruch als Scheitern anzusehen hilft niemandem weiter“

Foto: Patrick Seeger

Studiere ich das richtige Fach? Sollte ich über einen Abbruch des Studiums nachdenken? Diese Gedanken kennen sicherlich so einige Studierende. Dr. Friedrich Arndt arbeitet in der Zentralen Studienberatung der Universität Freiburg und ist Ansprechpartner für Fragen und Probleme von Studierenden. Emilie Häberle hat sich mit ihm über Zweifel im Studium unterhalten. 

_JG_2145_540.jpgEine Phase des Zweifelns kann wichtig sein, um herauszufinden, was man will, sagt Friedrich Arndt – er und seine Kollegen der Zentralen Studienberatung verstehen sich als Begleiter, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten möchten.
Foto: Patrick Seeger

Herr Arndt, welche Fragen bekommen Sie von Studienzweiflern besonders häufig gestellt?

Die Leute sind oft unsicher und unzufrieden mit ihrer Studiensituation – warum genau, wissen sie oft gar nicht. Sie fragen sich, ob sie was falsch machen oder ob es das falsche Studium für sie ist. Hinzu kommt die Angst zu versagen und nicht zu wissen, wie es überhaupt gelingt, sich ein klares Bild zu verschaffen.

Kommt ein Studienabbruch einem Scheitern gleich? Wie empfinden Studierende, wie empfindet ihr Umfeld einen Abbruch?

Die Leute, die hierher kommen, berichten häufig, dass sie Angst vor Scheitern haben und trauen sich nicht, mit ihrem Umfeld darüber zu sprechen. Und wenn sie es doch später machen, stellen sie fest, dass es das Umfeld vielleicht gar nicht so negativ aufnimmt oder sogar mehr unterstützt, als vorher angenommen. Einen Studienabbruch als Scheitern anzusehen hilft niemandem weiter. Vielmehr sollte ich mir überlegen, wie man die Situation alternativ betrachten könnte: Was sagen die Entscheidungsmöglichkeiten, im Studium zu bleiben oder etwas Neues zu beginnen, über mich als Person? Was kann ich in dieser Situation über mich lernen? Was kann ich jetzt tun? Die Perspektive verschiebt sich dann vom Gefühl des Scheiterns weg hin zur Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit.

Wann befinde ich mich in einer normalen „Zweifelphase“ und wann sollte ich ernsthaft über einen Abbruch und eine Umorientierung nachdenken?

Grundsätzlich kann eine Zweifelphase durchaus wichtig sein, um herauszufinden, was man will. Deswegen ist es wichtig, dass ich Kompetenz darin erlange, mit solchen Situationen gut umzugehen. Wenn ich jedoch schon viele Maßnahmen in Gang gesetzt habe, um meine Lage zu ändern und trotzdem hohen Leidensdruck in meinem jetzigen Studium verspüre, kann das ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass ich hier gerade nicht richtig bin. Vielleicht hat jemand ein Fach gewählt, welches einfach nicht seinen Talenten entspricht und deshalb nicht so gut für ihn geeignet ist. Schlechte Prüfungsergebnisse trotz hoher Anstrengung und verschiedenen Lernmethoden können ein Zeichen dafür sein. Ich glaube trotzdem, dass jemandem, der etwas unbedingt will und dementsprechend eine hohe Motivation hat, viele Sachen gelingen werden, für die er vielleicht nicht optimal geeignet ist.

Wie merke ich, ob es am Studiengang liegt, an äußeren Rahmenbedingungen wie Studienort oder WG oder daran, dass ein Universitätsstudium nicht das Richtige ist?

Wenn wir jetzt in einer Beratungssituation wären, würde ich fragen, woran Sie es merken. Wenn ich jetzt gerade eine schwierige Situation erlebe und ich komme zum Beispiel mit dem Lernen nicht zurecht, dann könnte ich an Situationen in meinem Leben zurückdenken, in denen ich schon mal erfolgreich Lernsituationen gemeistert habe. Dann kann ich überlegen, wie da die Bedingungen waren. Was waren die Kriterien dafür, dass es gut geklappt hat? Und wie sieht das heute aus? Vielleicht habe ich momentan zu wenig Ausgleich und sollte mehr Sport machen, um meine aktuelle Situation zu verbessern oder ich kann nicht alleine lernen und bräuchte wieder eine Lerngruppe. Um herauszufinden, worum es bei mir gerade geht, kann ich mich zum Beispiel mit anderen austauschen, die in einer ähnlichen Situation stecken, auch ein Beratungsgespräch kann da hilfreich sein.

Wie sehen Arbeitgeber einen Studienabbruch? Hat er negative Folgen für eine potentielle Einstellung?
Es kommt nicht darauf an, einen geradlinigen Lebenslauf zu haben, sondern darauf, dass man den Personalverantwortlichen erklären kann, warum man bestimmte Entscheidungen getroffen hat. Das kann für einen künftigen Arbeitsgeber eine sehr hilfreiche Rückmeldung über den Charakter eines Bewerbers oder einer Bewerberin sein. Abgesehen davon interessiert der Abbruch nicht mehr, wenn man erst einmal im Beruf verankert ist – da zählen wieder ganz andere Kriterien.

Wann raten Sie, das Studium durchzuziehen? Oder gilt für einen Abbruch vielmehr „besser spät als nie“?

Wenn ich unmittelbar vor meiner Abschlussarbeit stehe, ist es schon naheliegend, das Studium zu Ende zu bringen. Trotzdem kann ich parallel überlegen, was ich danach mache. Gibt es vielleicht doch die Option, noch ein anderes Studium aufzunehmen? Aus Perspektive der Hochschulen und der Politik ist ein später Studienabbruch oder -wechsel weniger wünschenswert. Subjektiv kann es trotzdem immer noch eine sinnvolle Entscheidung sein und ich glaube eher, dass es darauf ankommt, dass jemand das bewusst und wohl überlegt tut. Generell geben wir hier in der Zentralen Studienberatung ungern Empfehlungen und Ratschläge, sondern wollen eher Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Wir verstehen uns vom Beratungsverständnis eher als Begleiter. Wir wollen ein Problem nicht für die Ratsuchenden lösen, sondern sie im Gespräch in die Position bringen, es selbst zu lösen.

Warum richten sich die neuen Beratungsangebote an Studierende in den ersten beiden Semestern?

Dafür gibt es zwei Gründe. Der externe Grund ist der Wunsch von Politik und Hochschulen, Zweiflern möglichst frühzeitig Hilfe zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer Grund ist, dass bei frühzeitiger Auseinandersetzung mit aufkommenden Zweifeln einem großen Leidensdruck vorgebeugt werden kann. So merken Studierende beispielsweise bereits im zweiten Semester, dass der aktuelle Studiengang nicht die richtige Wahl war und verzweifeln nicht erst nach zwei oder drei Jahren Studium. Trotzdem sind unsere Angebote für alle Studierenden offen, denn Zweifel können zu jedem Zeitpunkt aufkommen – egal wo im Studium man sich gerade befindet.

 

Fokus erstes Studienjahr

Das Projekt Fokus erstes Studienjahr der Zentralen Studienberatung (ZSB) soll Studierenden ein besseres Ankommen an der Universität Freiburg ermöglichen.  Zusätzlich zu den Beratungsangeboten der ZSB werden im Rahmen des Projektes Kurzworkshops zu Fragestellungen angeboten, die insbesondere in der Studieneingangsphase auftauchen. In Gruppen von sechs bis 12 Personen können Studierende die eigenen Erfahrungen reflektieren und sich mit Gleichgesinnten austauschen. Durch einen besseren fakultätsübergreifenden Austausch unter denjenigen, die sich mit Anliegen Studierender im ersten Studienjahr beschäftigen, soll eine zusätzliche Verbesserung der Beratungsqualität erreicht werden.

Nähere Informationen zu dem Projekt finden Sie unter http://www.studium.uni-freiburg.de/service_und_beratungsstellen/zsb/fokus-erstes-studienjahr