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Versuch um Versuch

Horst Fischer will Studierende und Laien für die Physik begeistern – dazu lockt er sein Publikum aufs Glatteis

Freiburg, 25.10.2019

Physik – ein Buch mit sieben Siegeln? Nicht für Prof. Dr. Horst Fischer. In seinen jedes Jahr restlos ausgebuchten „Weihnachtsvorlesungen“ gewinnt der Forscher ihr sogar einen Unterhaltungswert ab: Mit verblüffenden Versuchen präsentiert er dann einem Laienpublikum, was in seinem Fach steckt. Von dieser experimentorientierten Lehrmethode profitieren auch seine Studierenden. 2019 ist der 60-Jährige mit dem Universitätslehrpreis ausgezeichnet worden. Mit Anita Rüffer sprach er über die Kunst, komplexe Zusammenhänge zu vermitteln.


Ins Schwarze getroffen: Für seine experimentorientierte Lehrmethode hat die Universität Freiburg Horst Fischer jüngst mit dem Universitätslehrpreis ausgezeichnet. Foto: Thomas Kunz

Herr Fischer, Sie kommen gerade aus dem Griechenlandurlaub zurück. War die Physik immer dabei?

Horst Fischer: Auch im Urlaub praktiziere ich, was ich meinen Studierenden in der Ausbildung vermittle: nichts als gegeben hinnehmen, sondern Alltagsphänomene auf ihre physikalischen Zusammenhänge prüfen.

War Physik Ihr Lieblingsfach in der Schule?

Die Frage passt nicht zu meinem Werdegang. Nach der Mittleren Reife habe ich erst mal eine Ausbildung zum Fernmeldetechniker gemacht. Das hat mein Interesse geweckt, Physik zu studieren. Dafür musste ich das Abitur nachholen.

Sie haben sich die Physik also nicht von der Theorie her erschlossen.

Von der guten Ausbildung bei der damaligen Post und dem großen Praxisbezug profitiere ich bis heute.

Und das Publikum Ihrer Weihnachtsvorlesungen profitiert mit. Was macht diese Vorlesungen zu Kultveranstaltungen?

Ich versuche, die Menschen aufs Glatteis zu locken. Es passiert etwas ganz anderes, als sie erwarten, weil ihre Vorstellungen oder Bilder davon falsch sind. Das erzeugt einen Aha-Effekt.

Was kann so ein falsches Bild sein?

Viele haben schon mal im Fernsehen verfolgt, wie eine Rakete von Cape Canaveral ins Weltall abhebt, und stellen sich vor, dass sie sich wie beim Trampolinspringen mit ihrem Feuerstrahl von der Erde abstößt.

Ist das nicht so?

In der Vorlesung zeige ich ein Experiment, bei dem eine mit ein wenig flüssigem Stickstoff gefüllte und mit einem Korken verschlossene Sprudelflasche wie eine Rakete durch den Hörsaal fliegt. Wird sie erhitzt, verdampft der Stickstoff und vertausendfacht sein Volumen, ein Effekt der Thermodynamik. Der Druck lässt den Korken nach hinten wegfliegen, und die Flasche wird in die entgegengesetzte Richtung geschleudert.


Horst Fischer bei einem Experiment in der „Weihnachtsvorlesung“. Foto: Thomas Kunz

Damit lässt sich sogar ein „Auto“ in Bewegung setzen, richtig?

Um das Gelernte weiter zu verfestigen, hat unsere Werkstatt ein Auto gebaut, an das unten so eine Flasche montiert ist. Strömt das Gas aus der Flasche, dann fährt das Auto mit mir drauf in die andere Richtung. Da ist kein Boden oder eine Mauer, von dem es sich abstoßen müsste, sondern einfach nur das physikalische Gesetz der Impulserhaltung. Wer das einmal gesehen hat, wird es nie wieder vergessen.

Muss man sich Ihre Lehrveranstaltungen für Studierende wie die Weihnachtsvorlesungen vorstellen?

Auch in meinen Einführungsvorlesungen für das Physik- und Medizinstudium möchte ich den Studierenden als Alltagserfahrung vermitteln, was physikalische Gesetze bedeuten. Aber die Gesetze müssen auch mathematisch hergeleitet und die Experimente ausgewertet werden.

Physik gilt eher als Männerdomäne. Braucht es besondere Gene, um sich dafür zu begeistern?

Physik ist jedermann und jederfrau vermittelbar und eine Frage der Sozialisation. Inzwischen haben wir 25 Prozent Frauen unter den Studierenden. Als ich in den 1980er Jahren anfing, waren es gerade mal drei Prozent.

Fühlen Sie eine Art Mission, Ihrem Fach mehr Geltung zu verschaffen?

Ich würde es nicht Mission nennen. Es verschafft mir eine innere Befriedigung, wenn ich vermitteln kann: Physik macht Spaß. Sie ist gar nicht so kompliziert, wie alle denken. Physik ist für alles einsetzbar. Physikerinnen und Physiker arbeiten bei Banken oder in Industrieunternehmen, in Vorständen oder Entwicklungsabteilungen. Sie haben gelernt, komplexe Vorgänge auf kleine Probleme herunterzubrechen, die damit lösbar werden.

Deshalb werden sie ja auch händeringend gesucht. Ganz besonders dringlich an den Schulen.

Dann dürfte man es ihnen aber nicht so schwer machen. Kultusverwaltung und Unfallversicherung sorgen für eine aufwendige Bürokratie, etwa indem sie zu jedem Experiment eine ausführliche Gefahrenbegutachtung verlangen. Radioaktive Quellen wurden weitgehend abgeschafft, egal wie viel Strahlung sie verursachen. Quantenphysik ist nur noch theoretisch zu vermitteln. Wer Physik unterrichtet, braucht Zeit und eine gute Ausstattung für Experimente. Nur auf die „Sendung mit der Maus“ oder Youtube zu verweisen ist kein adäquater Ersatz, und es motiviert auch die Lehrkräfte nicht. Wir bieten für angehende Lehrerinnen und Lehrer einen schulpraxisnahen Laborkurs mit Demonstrationsexperimenten an. Das Dilemma ist, dass sie im Schulalltag häufig gar nichts mehr davon anwenden können.