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„Nichts ist schlimmer als dämliche Reibungsverluste“

Christine Jägle ist die neue Vorsitzende des Personalrats – das Amt hat sie im Ausnahmezustand angetreten

Freiburg, 28.05.2020

„Nichts ist schlimmer als dämliche Reibungsverluste“

Foto: Patrick Seeger

Beraten, vermitteln, mitgestalten: Der Personalrat der Universität Freiburg hat seit Mai 2020 eine neue Vorsitzende. Christine Jägle hat das Amt von Dr. Helmut Waller übernommen, dessen Stellvertreterin sie seit Juli 2019 war. Für die kommende Zeit hat sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen einige Ziele gesteckt – dazu gehört der Abschluss einer neuen Vereinbarung zur Dienstarbeitszeit, die den Beschäftigten mehr Flexibilität bieten soll. Und auch bei Vorgesetzten will Jägle Vorurteile gegenüber dem Personalrat abbauen. Von der Coronapandemie lässt sie sich ihren Amtsantritt nicht trüben.

Christine Jägle möchte bei Vorgesetzten für den Personalrat werben: Eine Partei in ihren Rechten zu stärken bedeute nicht, eine andere in ihren Rechten zu beschneiden.
Foto: Patrick Seeger

Corona hat ihren Amtsantritt nicht komplett verhagelt, aber eben auch nicht erleichtert. Eigentlich wollte Christine Jägle die Wochen zwischen ihrer Wahl zur Vorsitzenden des Personalrats und dem Antritt des Postens nutzen, um sich intensiv auf die neue Aufgabe vorzubereiten. „Wenn man von der Stellvertreterin zur Vorsitzenden wechselt, verändert sich ja doch nochmal was“, sagt sie. Doch dann kam das Virus – und mit ihm eine Flut von Verordnungen, Satzungen, Maßnahmen und offenen Fragen: Wie können die etwa 6.700 Beschäftigten der Universität weiterarbeiten? Klappt alles mit dem Homeoffice? Wie kann man diejenigen unterstützen, die zum Beispiel parallel arbeiten und Kinder betreuen müssen?

Die Routine des Amts war dahin. Auf einmal wurde das Außergewöhnliche zum Alltag. Doch Christine Jägle lässt sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen. Seit 19 Jahren ist sie im Personalrat dabei – da lernt man, sich auf alle möglichen Situationen einzustellen, nach Lösungen zu suchen und meistens auch welche zu finden.

Tief in der Materie und ohne Illusionen

Worauf es bei dieser Arbeit ankommt, hat Jägle sich Stück für Stück angeeignet. Zunächst war sie als Nachrückerin ab und zu bei den Sitzungen des Personalrats dabei. Sonderreglungen im Tarifvertrag, Verfallsklauseln, Landespersonalvertretungsgesetz: Nach den ersten Diskussionen schwirrte ihr der Kopf, „das war alles Fachchinesisch. Ich war einfach nur froh, wenn ich ab und zu etwas verstand“, erinnert sie sich und lacht. Doch nach und nach verbrachte sie mehr Zeit im Gremium, besuchte Fort -und Weiterbildungen und wurde erst zum festen, dann auch zum freigestellten Mitglied gewählt.

Inzwischen sind ihr auch die sperrigsten Begriffe aus dem Landespersonalvertretungsgesetz oder dem Arbeitsrecht geläufig. Auf den Regalen in ihrem Büro reiht sich eine Armada bunter breiter Buchrücken, die eng beschriebene Seiten vermuten lassen: Gesetze, Urteile, Kommentare. „Ganz schön viel Text, spannend!“ Das passt gut zu einer, die eigentlich gerne Jura studiert hätte – und sich im letzten Moment dann doch für die größere Leidenschaft, die Germanistik und Romanistik, entschied. Auch die Anfragen, Abläufe und Absprachen, mit denen der Personalrat betraut ist, gehen Jägle inzwischen leicht von der Hand. Doch der Blick auf die eigene Arbeit verändert sich, je mehr Einblicke man in die Materie bekommt. Desillusioniert so viel Einsicht einen nicht auch über die Jahre? Jägle schüttelt den Kopf. „Ich habe mir nie Illusionen gemacht.“

Belastend und lohnenswert

Das „geballte Leid“ mancher Beschäftigten komme im Personalrat aufs Tapet. „Es gibt bestimmte Bereiche an der Uni, in denen die Leute einfach verschlissen werden, einer nach dem anderen.“ Jägle kennt Fälle von Schikane und Mobbing. Manche trägt sie Jahre mit sich herum. Der Job ist belastend, das sei ihr von Anfang an klar gewesen. Doch dreht man die Medaille um, findet sich auf der anderen Seite auch die lohnenswerteste Aufgabe: „Die Leute ein Stück weit aufzubauen, in Gesprächen mit den Vorgesetzten oder den Kollegen zu vermitteln, gemeinsam nach einem Ausweg aus dem Konflikt zu suchen: Dafür setze ich mich gerne ein, auch wenn es nicht immer einfach ist.“

Manchmal führt der Weg aber auch in die Sackgasse, ein „Rennen gegen Wände“, wie es Jägle bezeichnet. Ein großes Problem sei nach wie vor, dass viele in befristeten Verhältnissen arbeiteten. Jägle sieht hier nicht unbedingt die Hochschulleitung in der Verantwortung: „Ich habe den Kanzler immer als offen für den Austausch mit uns erlebt.“ Die Auflagen des Landes hingegen würden der Uni bisweilen heftige Daumenschrauben anlegen und ihren Haushaltsplänen zu viel abverlangen – unter anderem die Finanzierung von entfristeten Stellen: „Wo soll das Geld denn herkommen? Drucken dürfen wir es ja nicht“, bringt die Personalrätin ihren Unmut zum Ausdruck.

Eine Ampel soll Abhilfe schaffen

Obwohl ihre Amtszeit mit einem Ausnahmezustand begonnen hat, will Christine Jägle am Programm des Personalrats festhalten. Die Arbeit teilt sie sich vorwiegend mit elf freigestellten Kollegen. Ein 25-köpfiges Gremium erarbeitet gemeinsam Ziele, fällt Entscheidungen und trifft Beschlüsse. „Wir sind im Gremium alle gleichberechtigt“, sagt sie. Zu einer der wichtigsten Aufgaben für das Jahr 2020 gehört eine neue Dienstvereinbarung: Alle Beschäftigten sollen von einer gleitenden Arbeitszeit Gebrauch machen können und dadurch von mehr Flexibilität profitieren. Ein neues Ampelmodell soll zudem Alarm schlagen, wenn jemand zu viele Überstunden ansammelt und so einer möglichen Überlastung vorbeugen. Auch die Umsetzung des Datenschutzes steht oben auf der Liste, ein Sisyphus-Kraftakt: „Das muss man schon mögen.“

Doch der ganz große Wurf, „ein Mordsaufschlag“, muss es für Jägle nicht immer sein. Das Telefon klingelt oft: Jemand hat eine Nachfrage zur Einstufung, zur Elternzeit oder will wissen, wie bei einem nicht genehmigten Urlaub zu verfahren sei. „Ich freue mich, wenn ich eine Hilfestellung im Alltag geben kann.“

Unterwegs unter Leuten

Derzeit hat der Personalrat, wie alle Abteilungen der Universität, seine Arbeit überwiegend auf Telefon, E-Mail und digitale Konferenzen umgestellt. Das sei nicht immer einfach, vor allem bei vertraulichen, persönlichen Gesprächen, bei denen man das Gegenüber gerne sehen würde. Sobald es erlaubt ist, will Jägle wieder unter Leute, und zwar nicht nur in der Zentrale des Personalrats, die sich im Gewerkschaftshaus neben dem Rektorat befindet. Regelmäßig präsentiert sich das Team in den Fakultäten und Instituten mit Infoständen – eine gute Gelegenheit, um mit Kollegen ins Gespräch zu kommen: „Wir möchten verstehen, was die Universität bewegt, wo es nicht so gut läuft, wo wir helfen können.“

Eine Schwachstelle will Jägle persönlich angehen: Bei Vorgesetzten möchte sie Vorbehalte und Vorurteile gegenüber dem Personalrat abbauen. „Oft ist das Bild, das sie von uns haben, von den Betriebsräten aus den Medien geprägt“, berichtet sie. Viele befürchten, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Barrikaden gehen, sobald der Personalrat aufschlägt. Doch eine Partei in ihren Rechten zu stärken bedeute nicht, die Rechte einer anderen zu beschneiden, sagt Jägle: „Wir wollen doch alle eine gute Arbeit machen. Das geht am besten, wenn wir kooperieren und nicht einander bekriegen. Nichts ist schlimmer als dämliche Reibungsverluste.“

Rimma Gerenstein

 

Personalrat der Universität Freiburg