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Am 30. Oktober 2019 gehen die Hochschulen Baden-Württembergs auf die Straße – sie demonstrieren für eine ausreichende Finanzierung

Freiburg, 22.10.2019

Kurz und bündig: Es geht um Geld – und um die Zukunft. Derzeit verhandelt das Finanzministerium in Stuttgart mit den Hochschulen im Land. Am Ende soll ein Vertrag für die Jahre 2021 bis 2025 unterschrieben werden. Die Gespräche sind zäh, doch noch ist nichts entschieden. Die Studierendenvertretungen und die Hochschulleitungen wollen mehr Druck auf die Politik ausüben: Am 30. Oktober 2019 werden Studierende und Beschäftigte gemeinsam auf die Straße gehen. Lou Mollat und Carlotta Rudolph, seit einigen Wochen im Vorstand der Studierendenvertretung der Universität Freiburg, sowie Clemens Ernst, der das Amt vor ihnen innehatte, wollen ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen für die Demonstration gewinnen. Rimma Gerenstein hat die drei gefragt, warum sie sich engagieren.


Plakate und eine laute Stimme: Am 30. Oktober 2019 demonstrieren die baden-württembergischen Hochschulen. Foto: wellphoto/stock.adobe.com

Die Studierendenvertretungen und die Rektorate im Land schlagen Alarm: Es fehle Geld, Forschung und Lehre seien akut bedroht. Merken Sie das schon jetzt in Ihrem Alltag auf dem Campus?

Lou Mollat: Na klar. Das zeigt schon eine einfache Rechnung: Im Vergleich zum Jahr 1998 bekommen die Universitäten heute pro Studi 3.450 Euro weniger. Derzeit sind in Baden-Württemberg knapp 25.000 Studienplätze vom Land komplett unfinanziert, das ist fast die ganze Uni Freiburg. Dieser Mangel wirkt sich sehr auf die Qualität der Lehre aus, die Universitätsbibliothek musste zum Beispiel ihren 24-h-Betrieb einstellen. Es gibt überfüllte Hörsäle…

Carlotta Rudolph: …Wie soll man denn lernen, wenn man nicht mal einen freien Stuhl findet? Es herrscht Mangel an Dozierenden, Mangel an Räumen; Kurse werden abrupt abgesagt, die Dozierenden können nicht genug Sprechstunden anbieten. Ich denke, dass das eigentlich jeder Studi kennt.

Clemens Ernst: Viele dieser Probleme sind bekannt und lassen sich letztlich darauf zurückführen, dass die Uni kein Geld hat. Das gilt aber auch für Themen, die nicht alle Studierenden mitbekommen. Nehmen wir zum Beispiel die Beauftragte für Studierende mit Behinderungen oder chronischer Erkrankung. Das betrifft etwa ein Zehntel aller Studierenden an der Uni Freiburg, also etwa 2.000 Studierende. Es gibt eine Person, die dafür zuständig ist – sie ist sehr kompetent, aber eben nur eine Person mit einer halben Stelle.


Clemens Ernst, Lou Mollat und Carlotta Rudolph (von links) sind davon überzeugt, dass Freiburg gut mobilisieren kann, um ein gemeinsames Zeichen gegen unterfinanzierte Hochschulen zu setzen. Foto: Max Orlich

Lou Mollat: Laut Landeshochschulgesetz hat die Universität auch die Aufgabe, an der sozialen Förderung der Studierenden mitzuwirken und Beauftragte einzustellen, die sich um Themen wie Diversity oder Studium ohne Hürden kümmern. Wenn es an einer ausreichenden Grundfinanzierung mangelt, ist das nur sehr bedingt oder gar nicht möglich. Ein aktuelles Thema ist auch die Sanierung von maroden Gebäuden. Da muss sehr viel Geld fließen, um sie in einem guten Zustand zu halten.

Carlotta Rudolph: Die mangelnde Finanzierung betrifft auch die Leute, die bei der Uni angestellt sind. Viele Studis, die schon mal einen Hiwi-Job hatten, kennen die Situation: Die Verträge werden nur für sehr kurze Zeiträume ausgestellt, oder die Stellen werden von Semester auf Semester ganz gestrichen.

Clemens Ernst: Dass ein knapp befristeter Vertrag auf den nächsten folgt, betrifft nicht nur Hiwis. Es geht uns nicht darum, dass wir Studis jetzt einfach mehr Geld wollen, und der Rest ist uns egal. Es geht um die komplette Uni, alle leiden unter zu wenig Geld: Lehre, Forschung, Verwaltung, Service und Technik.

Was genau sind Ihre Forderungen?

Lou Mollat: Die Landesastenkonferenz (LAK) fordert im Kern eine Anhebung von 1.000 Euro pro Studi, die Überführung von Programmmitteln in die Grundfinanzierung und einen Inflationsausgleich für die vergangenen Jahre.

Clemens Ernst: Wir Studis können nicht vorgeben, ab welcher Summe etwas ausfinanziert ist. Die Landesuniversitäten fordern zum Beispiel insgesamt 172 Millionen Euro an einmaligen Zusatzmitteln, um auf soliden Beinen zu stehen, und 115 Millionen Euro, um Themen wie Digitalisierung und Infrastruktur vernünftig umsetzen zu können. Dem und den anderen Forderungen schließen wir uns an.


Kopf der Kampagne „No science, no future“ ist Johannes Kepler (1571 – 1630), der zu den Begründern der modernen Naturwissenschaft zählt.
Quelle: Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg

Am 30. Oktober 2019 werden Studierende und Beschäftigte gemeinsam auf die Straße gehen.

Lou Mollat: Ja, dieser Protesttag geht auf Initiative der LAK zurück, und auch die Landesrektorenkonferenz unterstützt die Aktion. In ganz Baden-Württemberg wird demonstriert. Wir in Freiburg haben das Rektorat und die anderen Hochschulen mit an Bord geholt, es hat sich auch ein Bündnis zur Hochschulfinanzierung gebildet, dem viele unterschiedliche Gruppen und Einrichtungen angehören.

Carlotta Rudolph: Wir starten um 12 Uhr am Platz der Alten Synagoge und werden von dort aus etwa zwei Stunden durch die Innenstadt marschieren. Es wird vorher und hinterher Programm geben, eine Bühne, Musik und Reden von Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Interessensgruppen. Wir möchten einen Tag lang öffentlich Stellung beziehen und zeigen, dass die Hochschulen wichtige Akteure im Land sind, von denen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik abhängen. Das ist ein Thema, das viele vereint.

Clemens Ernst: Genau: Wir möchten zeigen, dass Hochschulfinanzierung nicht nur einen kleinen Kreis betrifft, so nach dem Motto: Die Studierenden wollen sich jetzt mal auf Kosten der Allgemeinheit durchstudieren, und dann profitieren sie davon, aber sonst niemand. In Stuttgart soll die Botschaft ankommen: Es betrifft viele Menschen.


Im Jahr 2017 demonstrierten knapp 3.000 Forschende, Lehrende und Studierende in Freiburg beim „March for Science“. Foto: Sandra Meyndt

Glauben Sie, dass Ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen mitziehen? Das Interesse für Hochschulpolitik ist ja eher ein Nischenphänomen unter den Studierenden.

Lou Mollat: Das Stichwort ist Aufklärung. Wir wollen eine breite Masse erreichen und den Leuten klar machen, dass sie ganz direkt von den Entscheidungen in Stuttgart betroffen sind. Dazu nutzen wir jede Gelegenheit. Besonders die Veranstaltungen für die Erstsemester bieten sich da gut an.

Carlotta Rudolph: Wenn man anfängt, sich mit Hochschulpolitik zu beschäftigen, erkennt man auf einmal die Zusammenhänge. Es hat ja einen Grund, warum es an Personal oder an Räumen fehlt: Es sind schlicht nicht genug Mittel vorhanden, die Universitäten und Hochschulen sind unterfinanziert. Wir wollen diesen Zusammenhang herstellen und den Leuten zeigen: Wenn ihr euch engagiert, dann könnt ihr eure Situation verändern, verbessern.

Clemens Ernst: Ich glaube, dass Freiburg gut mobilisieren kann. Und die Leute gehen ja für sich selbst auf die Straße, denn ihre Zukunft wird durch diesen Hochschulfinanzierungsvertrag entschieden.


2014 fand ebenfalls ein landesweiter Aktionstag statt – damals wurde der derzeit gültige Hochschulfinanzierungsvertrag ausgehandelt. Der Slogan lautete: „Unis in Not“.
Foto: Universität Freiburg

Dass den Hochschulen mehr Geld zustehen sollte, wird nicht von allen Interessensgruppen befürwortet. Anders ausgedrückt: Die Mittel sind begrenzt. Vielen ist es zum Beispiel wichtiger, dass ihre Kinder in Klassenzimmern lernen können, in die es nicht rein regnet.

Carlotta Rudolph: Natürlich, und ich finde auch, dass das Geld dort gut angelegt wäre. Man darf die unterschiedlichen Gruppen doch nicht gegeneinander ausspielen. Wir sehen die Interessen nicht als konkurrierend an, sondern wollen uns gemeinsam für das gesamte Bildungswesen starkmachen.

Clemens Ernst: Das Problem geht viel tiefer. Baden-Württemberg ist ein sehr reiches Land, das massive Einnahmen hat und massive Rücklagen bildet. Das Land hat also keine Geldprobleme, will sich aber jedes Jahr eine schwarze Null festsetzen. Dadurch verpflichtet es sich dazu, nicht in die Zukunft zu investieren. Dabei haben die Unis sich mehrfach bewährt: Für jeden Euro, den das Land in die Unis investiert, generieren sie 2,80 Euro. Das ist eine Rendite, die auch in der Wirtschaft durchaus akzeptabel ist. Ich verstehe nicht, warum das Land sich da so zaghaft zeigt.

Zurzeit versuchen die Studierendenvertretungen, ihre Kommilitonen im ganzen Land für den Protesttag zu mobilisieren. Was muss man unbedingt dabeihaben, um gut zu demonstrieren?

Carlotta Rudolph: Was zu trinken und einen Snack – Nüsse zum Beispiel bieten sich sehr gut an. Ende Oktober kann es sogar in Freiburg etwas kühler sein, also auch die wetterfeste Kleidung nicht vergessen.

Lou Mollat: Schilder und Banner dürfen natürlich nicht fehlen. Und eine laute Stimme.

Clemens Ernst: Wir wollen sichtbar, hörbar und überzeugend sein – alles, was einem dazu einfällt, kann so verkehrt nicht sein.

 

Gemeinsame Pressemitteilung der Freiburger Hochschulen

Gemeinsame Pressemitteilung der Freiburger Studierendenvertretungen

 

Protest im Oktober

Studierende und Beschäftigte wollen gemeinsam ein Zeichen gegen die unzureichende Finanzierung der baden-württembergischen Hochschulen setzen: Am 30. Oktober 2019 findet auf Initiative der Landesastenkonferenz in ganz Baden-Württemberg ein Protesttag unter dem Motto „Hochgeschult – kaputtgespart“ statt. Die Landesrektorenkonferenz unterstützt ihn mit der Kampagne „No science, no future“. In Freiburg beginnt die Demonstration um 12 Uhr auf dem Platz der Alten Synagoge.

hochgeschult-kaputtgespart.de
nosciencenofuture.de