Politik und die Spielregeln der Medien: Gegner skandalisieren, mit vorgetäuschter Kompetenz glänzen
|
(@mipan / fotolia.com)
Wie schätzen Landes-, Bundes- und Europaabgeordnete das Machtverhältnis von Politik und Medien ein und wie stark handeln sie selbst nach den Spielregeln der Medien? Dazu hat Daniel Pontzen vom Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg Abgeordnete im Rahmen seiner Dissertation befragt. Politiker passen sich vor allem dann den Spielregeln der Medien an, wenn ihr möglicher Nutzen hoch ist und das persönliche Risiko gering bleibt. Beliebtes Mittel ist daher die Skandalisierung des politischen Gegners: Steht der negativ in den Schlagzeilen, schlagen Politiker in der Regel auch dann verbal zu, wenn sie das vorgeworfene Vergehen gar nicht so schlimm finden – so die Überzeugung von mehr als 80 Prozent der Befragten. Rund zwei Drittel sind zudem der Überzeugung, dass Politiker heutzutage mehr als früher die Medien instrumentalisieren, etwa um Testballons steigen zu lassen, also über die Medien Pläne zu Gesetzesvorhaben bekannt zu geben, um so die Reaktionen darauf zu testen.
- Auftritte in Fernsehsendungen: Opportunismus live und in Farbe
Bei Fernsehsendungen geben sich die Politiker nicht wählerisch: Auch bei Formaten, in denen die meisten Abgeordneten Politikerauftritte
ablehnen – etwa Quizshows oder Unterhaltungssendungen – nehmen sie nach Überzeugung ihrer Kolleginnen und Kollegen Einladungen mehrheitlich an. „Das ist Opportunismus live und in Farbe“, sagt Prof. Dr. Uwe Wagschal, der die Doktorarbeit betreut hat. Polittalks nutzen die Politiker nach Überzeugung ihrer Kollegen vor allem als Bühne zum Eigenmarketing: Kompetent und sympathisch zu erscheinen und sich selbst vorteilhaft darzustellen sind demnach ihre wichtigsten Ziele. Ein konstruktiver Austausch von Sachargumenten hat für sie weitaus geringere Bedeutung. Selbst das Publikum zu unterhalten ist ihnen wichtiger als Problemlösungen zu erörtern.
- Politiker in einer medialen Spirale
1036 Landes-, Bundes- und Europaabgeordnete aller Parteien haben sich an der Studie zur Medialisierung von Politik beteiligt. Sie gaben Einblicke in die Hintergründe ihres Handelns und beantworteten Fragen dazu, wie sie die Stellung verschiedener Medien bewerten und ob deren Einfluss gewachsen ist. Der Begriff Medialisierung meint dabei die Anpassung der politischen Akteure an die Regeln der Massenmedien. Pontzen hat in seiner Arbeit untersucht, ob Medialisierung ein fortschreitender Prozess ist, ob sich Politiker quasi in einer Art Medialisierungsspirale befinden. Dazu verglich er seine aktuellen Ergebnisse von 2011 mit denen einer ersten Befragung aus dem Jahr 2005, die er im Rahmen seiner Diplomarbeit durchgeführt hatte. Er stellte fest, dass sich der Medialisierungsgrad innerhalb des untersuchten Zeitraums auf einem hohen Niveau eingependelt hat. Außerdem passen sich Politiker umso mehr den Medien an, je mehr Bedeutung sie ihnen beimessen und je höher ihr eigener Medienkonsum ist.
- Neuer Politikertypus durch Medialisierung
Eine Folge des anhaltend hohen Medialisierungsgrades ist, dass offenbar ein neuer Politikertypus heranwächst: Unter den jüngeren Abgeordneten ist der Anteil derjenigen, die Medientraining nehmen und an ihrer Gestik und Mimik arbeiten, deutlich höher als unter den älteren. Dennoch zeigt sich in der Befragung, dass eine gute Medienperformance nicht alles ist: „Die immer aufwendigere Darstellung von Politik ersetzt nicht d
eren Herstellung, sondern ergänzt sie. Gerade die jüngeren Politiker empfinden mediale Fertigkeiten offenbar als notwendiges Rüstzeug, aber nicht als hinreichendes Kriterium, um erfolgreich zu sein“, erläutert Pontzen. „Schaut man die jüngeren Kabinettsmitglieder an, wirken ihre Statements häufig glattgebügelt, die Sätze sorgfältig vorformuliert“, sagt dazu „heute journal“-Moderatorin Marietta Slomka im Vorwort der Doktorarbeit. „Auch das lässt sich durchaus mit Kalkül erklären: Ein einziger Fehltritt, ein kurzes Ausscheren aus dem gesellschaftlichen Konsenskorridor, hat schnell fatale Folgen.“
- Internet für Eigenmarketing: Kein Interesse an einem wechselseitigen Dialog
![]() |
Abgeordnete passen sich den Spielregeln der Medien an, wenn ihr möglicher Nutzen hoch ist und das persönliche Risiko gering bleibt - das belegt eine neue Studie der Universität Freiburg. (© Tectum Verlag) |
Die Bedeutung der unterschiedlichen Mediengattungen hat sich im Befragungszeitraum verschoben: Die Online-Ausgaben bekannter Medien haben nach Ansicht der Abgeordneten massiv an Einfluss gewonnen und Magazine sowie Wochenzeitungen überholt. Wichtigstes Medium bleibt das Fernsehen, gefolgt von Zeitung und Hörfunk. „Das Fernsehen ist das Medium, mit dem nach wie vor mit vergleichsweise kleinem Aufwand die größte Zahl von Wählerinnen und Wählern angesprochen werden kann“, erklärt Wagschal. „Gerade in politikfernen Schichten hat es die größte Reichweite.“ Das Internet nutzen Politiker im Wahlkampf vor allem für effizientes Eigenmarketing. Weitaus weniger wichtig ist ihnen das Internet als Mittel, um Wähler in den Gesetzgebungsprozess einzubeziehen. „Die dialogischen Potenziale des Internets werden nur eingeschränkt genutzt“, fasst Pontzen zusammen. „Die Politiker haben erkennbar wenig Interesse daran, ihre privilegierte Rolle im Kommunikationsprozess zugunsten eines wechselseitigen Dialogs aufzugeben. Warum auch? Es würde für sie Machtverlust bedeuten.“
- Qualität politischer Entscheidungen durch schnelle Kommunikation gefährdet
Dass sich die politische Kommunikation beschleunigt, hat aus Sicht der Politiker schwerwiegende Folgen. Mehr als 90 Prozent der Abgeordneten gaben an, dass sie sich heute zu vielen Themen schneller eine Meinung bilden müssen als noch vor zehn Jahren. Rund zwei Drittel sind der Überzeugung, dass infolge dieses Zeitdrucks für durchdachte Politikherstellung mitunter nicht mehr genug Zeit bleibt. „Mit Blick auf die Qualität politischer Entscheidungen ist das ein besorgniserregender Befund“, so Wagschal, „zumal politische Entscheidungen in aller Regel langfristig angelegt sind und angesichts der Komplexität vieler aktueller Themen entsprechend akkurat vorbereitet sein müssten.“
- Berichterstattung verhindert gesamteuropäische Öffentlichkeit
Die Berichterstattung der Medien sei zudem maßgeblich dafür verantwortlich, dass bislang keine gesamteuropäische Öffentlichkeit entstanden ist: Demnach berichten die Medien über Themen der Europäischen Union nicht ausreichend und zu oft durch die nationale Brille. Dasselbe würden allerdings auch die Politiker selbst machen, meinen die Akteure. Dass sich dies grundlegend ändern wird, glaubt die Mehrheit der Europapolitiker nicht: Nicht einmal jeder Vierte erwartet, dass in diesem Jahrhundert noch eine gesamteuropäische Öffentlichkeit entsteht.
- Netzwerke zwischen Medien und Politik erschweren Aufstieg von Politikerinnen
Kontroverse Befunde ergab der Blick auf die Geschlechterrolle: Rund zwei Drittel der weiblichen Abgeordneten stimmen der Aussage zu, dass die über Jahrzehnte gewachsenen Netzwerke zwischen Medien und Politik bis heute den Aufstieg von Politikerinnen erschweren. Von den männlichen Kollegen sieht dies nicht einmal jeder Fünfte so. Ähnlich weit auseinander liegen die Meinungen bezüglich der Frage, ob Politikerinnen es wegen der Art der Berichterstattung schwerer haben, da sie sich nicht nur fachlich, sondern auch als Frau beweisen müssten. 58,6 Prozent der weiblichen Befragten stimmen dieser Aussage zu. 62,1 Prozent der Männer meinen hingegen, dass diese Behauptung nicht richtig ist.
Die Studie erscheint am 15. Mai 2013 als Buch mit dem Titel „Politiker in der Medialisierungsspirale? Eine Abgeordneten-Befragung auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene“ und einem Vorwort von Marietta Slomka.
Die Druckversion dieses Textes (pdf) finden Sie hier.
Porträt des Froschers
Bildergalerie