"Bonjour, hi!"
Freiburg, 09.11.2015
Vier Stopschilder, die den Mix aus Französisch und anderen Sprachen sichtbar machen. Foto: Jakob Leimgruber
Sitzend in einem Café, den Laptop vor sich aufgeklappt – so beschreibt ein Freiburger Wissenschaftler einen Teil seines Forschungsalltags: Während er seinen Tee trinkt, beobachtet er beinahe unmerklich die Menschen, die das belebte Lokal betreten und sich in die Schlange der Wartenden einreihen. Über die Kasse hinweg entstehen zwischen den Angestellten und der Kundschaft am laufenden Band kurze Gespräche, die den Sprachwissenschaftler brennend interessieren. Dr. Jakob Leimgruber lauscht den Bestellungen und protokolliert die knapp gehaltenen Konversationen. Denn er will herausfinden, in welcher Weise Sprache in multilingualen Gesellschaften funktioniert.
Begrüßung im Zwei-Sprachen-Mix
An fünf unterschiedlichen Tagen frequentierte der Anglist von der Albert-Ludwigs-Universität jeweils eines von sechs verschiedenen Cafés in mehreren Stadtteilen Montreals. Somit erhob er insgesamt einen Monat lang Daten zu den Unterhaltungen in den Kaffeehäusern. Er achtete auf die Begrüßung durch den Angestellten hinter der Bar sowie auf den erwidernden Gruß des Kunden. Ein Jahr verbrachte er in der größten Metropole Quebecs, in der ein Fünftel der Einwohnerinnen und Einwohner Englisch sprechen. Während in der Stadtmitte eher beide Sprachen verwendet werden, gibt es Orte innerhalb Montreals, in denen beinahe nur Englisch oder nur Französisch gesprochen wird. Der Standardgruß „Bonjour, hi“, der aus Begrüßungsformeln beider Sprachen besteht, spricht für eine Zweisprachigkeit der Konversation, die jedoch kontrovers diskutiert wird: Französisch ist die einzige Amtssprache der Provinz und wird dementsprechend von ihren Sprechern in der alltäglichen Unterhaltung eingefordert. Leimgrubers Umfragen zufolge überlegen sich die Bürgerinnen und Bürger Quebecs zweimal, welche Sprache sie nutzen, wenn sie jemand Unbekanntes treffen. Zur Erhebung der Daten entwickelte der Forscher einen umfassenden Fragebogen, der Sprachgebrauch und Einstellungen der Sprechenden zu den Sprachen ermittelt: Leimgruber erfasste und wertete somit Daten von insgesamt 650 Personen aus. Eingeordnet wurden die Befragten beispielsweise in altersspezifische Gruppen, sowie nach Sprachkategorien, wobei der Freiburger Linguist zwischen Französisch-, Englisch- und Anderssprachigen unterschieden hat.
Straßenschilder stiften Identität
In kleinen Dörfern und an stark befahrenen Straßenkreuzungen beobachtete er den Gebrauch von Französisch, Englisch und weiteren Sprachen, richtete Umfragen an kanadische Bürger und durchleuchtete die Gesetzgebung und Bürokratie. Über 1100 Bilder knipste der Sprachforscher von Straßenschildern, da diese im großen Umfang zur Wahrnehmung des öffentlichen Raumes beitragen. Sie stiften somit Identität. Die französischsprachige Mehrheit hat deshalb Gesetzte erlassen, die die Verwendung der Sprache auf Schildern regelt. Beispielsweise muss das Französische auf Schildern immer doppelt so groß sein, wie die andere verwendete Sprache, mit Ausnahme von kulturellen Beschilderungen. Die Erhaltung der romanischen Sprache hat sich auch in der Bildung festgesetzt. „Französische Schulen sind Standard“, sagt Leimgruber. „Um Kinder auf englische Schulen schicken zu können, müssen die Eltern kanadische Staatsbürger sein und selbst Bildung in Englisch genossen haben.“
Stille Revolution: Französisch als Sprache des Arbeitslebens
Noch vor vierzig Jahren waren die Chefetagen Quebecs überwiegend mit Anglophonen besetzt – so werden diejenigen Menschen bezeichnet, die Englisch als Muttersprache gelernt haben. Das hat sich mit der Stillen Revolution der Provinz in den 1970er Jahren grundlegend geändert. Zusammen mit gravierenden kulturellen und wirtschaftlichen Veränderungen, wollte eine damals neue politische Bewegung die französischsprachige Mehrheit von dieser beruflichen Benachteiligung befreien. Die Charta der französischen Sprache, auch Bill 101 genannt, sichert seitdem die Stellung der meistgesprochenen Sprache in der größten kanadischen Provinz. Frankophone Arbeiterinnen und Arbeiter, die teilweise unter der Armutsgrenze lebten, sollten durch den politischen Umbruch Einfluss auf ihre eigene wirtschaftliche Situation gewinnen. Die Sprache der Regierung und des täglichen Arbeitslebens ist gesetzesgemäß deshalb Französisch.
Leitfäden für Computertasturen
Bei einem Unternehmen mit über 50 Beschäftigten muss die Arbeitssprache Französisch sein. So ist beispielsweise gesetzlich festgeschrieben, dass jegliche externe und interne Kommunikation auf Französisch geführt werden muss und selbst technische Anwendungen wie Tastaturen und Computerprogramme Französisch sein sollten. Für die Umsetzung der Sprachregelungen werden von den Behörden Leitfäden und andere Hilfsmittel bereitgestellt – es wird alles getan, um die Verwendung des Französischen zu fördern.
Text: Tanja Kapp
Porträt des Forschers
![]() | hat Anglistik und Geographie an der Universität Fribourg/Schweiz studiert. 2009 wurde er an der Universität Oxford/England zur Variation des singapurischen Englisch promoviert, während er an der Bangor Universität/Wales Soziolinguistik unterrichtete. Anschließend arbeitete er als Akademischer Mitarbeiter für das Englische Seminar der Universität Freiburg. Als Teil seines Habilitationsvorhabens zog es ihn im Rahmen eines Marie-Curie-Stipendiums der Europäischen Union ein Jahr nach Montreal/Kanada, wo er unter anderem an der McGill Universität forschte. Als Akademischer Rat untersucht Leimgruber an der Albert-Ludwigs-Universität die verschiedenen Formen des Englischen, vor allem in mehrsprachigen Gesellschaften. Schwerpunkte seiner Habilitation sind Quebec, Singapur und Wales.
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