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„Bücher zum Sprechen und Klingen bringen“

Studentische Vorarbeiten legten den Grundstein für die Ausstellung „buochmeisterinne – Handschriften und Frühdrucke aus dem Dominikanerinnenkloster Adelhausen“

Freiburg, 19.04.2021

Wer ermessen will, mit welchem Schatz an Büchern des Mittelalters die Region aufwarten kann, sollte sich die Ausstellung „buochmeisterinne – Handschriften und Frühdrucke aus dem Dominikanerinnenkloster Adelhausen“ anschauen. In Lehrprojekten zum so genannten Forschenden Lernen legten Studierenden der Germanistischen Mediävistik die Fundamente für die kommentierte Sammlung. Diese ist bis zum 13. Juni 2021 im Freiburger Museum für Stadtgeschichte im Wentzingerhaus am Münsterplatz zu sehen. Ein Besuch ist unter Vorbehalt der aktuell geltenden Pandemie-Regelungen nach vorheriger Anmeldung möglich. Die Exponate stammen aus Beständen der Stadt und der Adelhausenstiftung sowie als Leihgaben aus Bibliotheken in Karlsruhe, Zürich/Schweiz und Colmar/Frankreich.


Bibliothekarinnen kümmerten sich im Mittelalter in Klöstern um Pflege und Katalogisierung der Buchbestände. In diesem Ämterbuch von Johannes Meyer ist eine dieser „buochmeisterinne“ dargestellt. Quelle: Universitätsbibliothek Leipzig, MS 1548, fol. 89r

Was dem Studenten Gregor Biberacher im Rahmen eines Handschriftenseminars in der Mediävistik bei einem Besuch im Freiburger Stadtarchiv begegnete, übertraf alles, was er bis dahin an Schriftwerken in der Hand gehalten hatte: 500 bis 600 Jahre alte Folianten, allesamt Unikate, in mittelhochdeutscher Sprache verfasst. „Es war ein faszinierendes Gefühl von Ehrfurcht, das mich dabei befiel.“ Biberacher war Teilnehmer eines Lehrprojekts zum Forschenden Lernen in der Germanistischen Mediävistik der Universität Freiburg, das Prof. Dr. Martina Backes und Dr. Balászs J. Nemes leiteten.

Erkenntnisse aus Lehrveranstaltungen, so die Idee von Nemes, sollten nicht nur für Forschende, sondern auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Deshalb wurden die Ergebnisse des Lehrprojekts, in dem die Studierenden die mittelalterliche Welt von klösterlichen Bibliothekarinnen untersuchten, in eine Ausstellung umgewandelt. Zudem ist ein Katalog mit Beiträgen von den Studierenden in Vorbereitung. Die Ausstellung ist ein Beitrag zum Freiburger Stadtjubiläum, finanziert mit Mitteln der Adelhausenstiftung, die Rechtsnachfolgerin der fünf Dominikanerinnenklöster ist, die in Freiburg im Mittelalter existierten. Es ist die Welt dieser Dominikanerinnenklöster, die sich in der Ausstellung erschließt: „Wir versuchen, den ,Sitz im Leben‘ der Bücher zu rekonstruieren, die Menschen hinter den Büchern aufzuspüren“, erklärt Backes.

Gemeinschaftsbildende Texte

Für den Zugang zu den alten Schriften werden in der Ausstellung alle Sinne aktiviert: Die Sängerin Clara Coutouly hat in der Kapelle von St. Ottilien zwei über QR-Code abrufbare Stücke eingesungen, die auf riesigen, auf Pergament verfassten Gesangsbüchern notiert sind. Studierende, die während des Seminars ein Sprechtraining erhielten, lesen auf Audioaufnahmen mittelhochdeutsche Texte vor, wie sie auch von der Tischleserin des Klosters während der Mahlzeiten gelesen wurden. „Wir wollten die Bücher zum Sprechen und Klingen bringen“, erklärt Nemes. „Die Handschriften waren vor allem auf das öffentliche Vortragen ausgerichtet, haben also etwas Gemeinschaftsbildendes“, hat Biberacher erkannt. „Man darf sich nicht nur Nonnen vorstellen, die in Bibliotheken einsame Studien betrieben.“


Erkenntnisse aus Lehrveranstaltungen sollten auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Deshalb wurden die Ergebnisse des Lehrprojekts zu den „buochmeisterinne“ in eine Ausstellung umgewandelt. Foto: Patrick Seeger

Mittelalterliche Fernleihe

In den Klöstern gab es die „buochmeisterinne“, eine Bibliothekarin, die sich um Pflege und Katalogisierung des Bestands kümmerte. Neue Bücher kamen dazu, die gekauft oder durch Schenkung ins Kloster gelangten. Auch auf eine Art Fernleihe konnte eine Buchmeisterin zurückgreifen: Ein Netzwerk befreundeter Klöster in der Region belieferte sich gegenseitig mit Handschriften, die als Vorlage zum Kopieren benutzt werden konnten. Erstmals nach 500 Jahren kommen in der Ausstellung beispielsweise Original und Kopie der Predigten von Johann Geiler von Kaysersberg, einem im ausgehenden Mittelalter bedeutenden deutschen Prediger, nun wieder zusammen.

Über die Klosterämter war das Zusammenleben der Nonnen organisiert. Vor allem das Amt der Novizenmeisterin, die für die Ausbildung der jungen Frauen verantwortlich war, verweist darauf, dass das Kloster für Frauen ein „einzigartiger Wissensraum“ war, wie Backes erklärt. War es ihnen doch - anders als ihren Ordensbrüdern – verwehrt, an Universitäten Theologie zu studieren. Die Frauen gingen jedoch nicht nur aus Wissensdurst und eigenem spirituellem Antrieb ins Kloster: Viele wurden, mit reicher Mitgift, auch von ihren Familien geschickt. Wie zwei ausgestellte „Urbare“, eine Art Grundbuch, dokumentieren, wurden die erworbenen Vermögenswerte schriftlich festgehalten. „Diese Bücher dienten dem Verwaltungshandeln“, erklärt Backes.

Studentische Detektivarbeit

Eine schon seit 150 Jahren erforschte Predigthandschrift von Johannes Tauler aus dem 14. Jahrhundert weckte das besondere „archäologisch-kriminologische“ Interesse eines am Lehrprojekt teilnehmenden Studenten, erzählt Nemes: Als Besitzerinnen der Handschrift seien die Namen von zwei Schwestern zu entziffern gewesen. Der Student habe in Archiven gesucht und herausgefunden, dass eine der Schwestern in der heutigen Freiburger Deutschordensstraße gewohnt hatte. Ausgrabungen auf dem Grundstück ließen, so Nemes, die Umrisse des damaligen Hauses erkennen. Martina Backes ist begeistert: „Eines unserer ausgestellten Bücher wurde vor Jahrhunderten in diesem Haus gelesen. Hätte der Student sich allein für den Textinhalt interessiert, wäre er nie darauf gekommen.“ Das ist, was sie und Nemes unter Forschendem Lernen verstehen.  

Anita Rüffer

buochmeisterinne – Handschriften und Frühdrucke aus dem Dominikanerinnenkloster Adelhausen

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