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„Was die Gesellschaft bewegt ist unser Thema“

Seit 100 Jahren greift die forstwissenschaftliche Ausbildung in Freiburg die Herausforderungen der jeweiligen Epoche auf – eine Zeitreise

Freiburg, 27.02.2020

„Was die Gesellschaft bewegt ist unser Thema“

Foto: Sandra Meyndt

Von der zweifelhaften Verherrlichung des Walds unter den Nationalsozialisten über die Umweltbewegung gegen das Waldsterben in den 1980er Jahren bis zur Erforschung der Folgen des gegenwärtigen Klimawandels: Seit 100 Jahren ist die forstliche Ausbildung an der Universität Freiburg von den großen Fragen der jeweiligen Epoche geprägt. In einem Interview mit Kristin Schwarz begibt sich Uwe Eduard Schmidt, Professor für Wald- und Forstgeschichte an der Universität Freiburg, auf eine Zeitreise.

„Stoppt den Klimawandel“: In Freiburg demonstriert die Bewegung „Fridays for Future“ für mehr Umweltschutz. Foto: Sandra Meyndt

Herr Schmidt, die forstliche Ausbildung an der Universität Freiburg wird dieses Jahr 100 Jahre alt. Wie waren die Anfangsjahre?

Uwe Eduard Schmidt: Strenggenommen blickt die Universität auf eine mehr als 200-jährige Geschichte zurück. Kaiser Joseph II. ließ 1787 in Freiburg die deutschlandweit erste Professur für Forstwissenschaft einrichten. Deren Arbeit endete allerdings fünf Jahre später, als der Lehrstuhlinhaber nach Bonn berufen wurde. Bis ins frühe 20. Jahrhundert fand die universitäre forstliche Ausbildung im heutigen Baden-Württemberg primär in Tübingen, Hohenheim und Karlsruhe statt. In Anbetracht sinkender Studierendenzahlen im deutschen Kaiserreich wurde ein gemeinsamer Studienstandort gesucht, und Freiburg konnte sich gegen seinen Mitbewerber Heidelberg durchsetzen. So kamen die Forstwissenschaften 1920 mit einem Institut und drei Lehrstühlen an die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät nach Freiburg zurück.

Diese Entwicklung fällt in die Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus. Welche Folgen hatte das politische Klima für das junge Institut?

Die Studierendenzahlen zeigen, dass die Lehre zu Beginn national wie international großes Ansehen genoss. Von knapp 120 Studierenden kamen 1922 etwa 20 aus dem Ausland, aus Japan, den USA oder Osteuropa. Das änderte sich mit Erstarken des Nationalsozialismus. Die voranschreitende Gleichschaltung machte sich in den frühen 1930er Jahren auch in der Personalpolitik bemerkbar, weil zum Beispiel der Lehrstuhl für Forstbotanik aus ideologischen Gründen frei wurde. Als die forstwissenschaftlichen Ausbildungsstätten deutschlandweit um die Hälfte reduziert werden sollten, gelang es dem damaligen Dekan und dem Freiburger Oberbürgermeister, das forstliche Institut trotz seiner geschwächten Position zu halten. Zwischen 1935 und 1937 wurden die Aktivitäten vor Ort ausgebaut, weitere forstwissenschaftliche Institute gegründet und so die Ausbildung gesichert.

Bodenkunde, Schießen und eine Aufforderung zur steten Sparsamkeit: ein Stundenplan eines Freiburger Forststudenten von 1939. Quelle: Archiv für Wald- und Forstgeschichte Universität Freiburg

Die Nationalsozialisten entdeckten den Wald für sich, verherrlichten ihn auf zweifelhafte Art und nutzten ihn als Projektionsfläche für ihre Politik. Was bedeutete das für die Lehre?

Ein beliebtes Motiv der NS-Ideologie war die Gleichsetzung von deutschem Wald und deutschem Volk. Das spiegelte sich auch in den Lehrmaterialien wider: Dort wurde zum Beispiel der Anbau heimischer Baumarten mit der NS-Rassenhygiene verbunden. Gleichzeitig war Holz ein wichtiger Rohstoff für den Krieg. Forscher untersuchten, wie man Holz auch als Antrieb für Automobile und als Textilstoff nutzen könnte. Wie ein Stundenplan von 1939 zeigt, war die Ausbildung sehr praxisorientiert. Neben Lehrwanderungen, Botanik und Bodenkunde stand auch Stenografie auf dem Programm, um Inhalte schnell notieren zu können. Forststudierende an der Front wurden mittels Feldpostrundbriefen mit Lehrmaterialien ausgestattet. 97 Prozent dieser Studierenden sind im Krieg gefallen.

Nach dem Krieg galt der Wald als heiles Gegenstück zur zerstörten Stadt. Förster avancierte bei den Männern zum Traumberuf, die Frauen schätzten ihn als loyalen Partner. Waren die Hörsäle damals übervoll?

Erstmal nicht. Da sich die Lerninhalte auf die spätere Arbeit im höheren Verwaltungsdienst konzentrierten, waren nur so viele Studierende zugelassen wie Personal benötigt wurde. Wer sich bewerben wollte, musste einen Eignungstest in Stuttgart absolvieren und ein Empfehlungsschreiben vorweisen. Das führte dazu, dass Söhne aus Forstdynastien die besten Chancen hatten. Der Frauenanteil war verschwindend gering. Diese Situation änderte sich 1976, als einer gerichtlichen Klage auf Chancengleichheit stattgegeben wurde und sich der Studiengang öffnete. Binnen weniger Jahre waren mehr als 100 Studierende eingeschrieben.

Uwe Eduard Schmidt studierte in den 1980er Jahren Forstwissenschaft und erlebte einen Paradigmenwechsel: Studierende in Lodengrün, die für den traditionellen Waldbau warben, sahen sich auf einmal mit Umweltschützern konfrontiert. Foto: Klaus Polkowski

In den 1980er Jahren haben Sie in Freiburg selbst Forstwissenschaften studiert. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Im Zuge der Diskussion um das Waldsterben wollten viele Forstwissenschaften studieren. Dieses ehrbare Motiv stellte das bisherige System im besten Sinne auf die Probe. Konservative Forststudierende in Lodengrün, die für den traditionellen Waldbau warben, sahen sich plötzlich mit Umweltschützerinnen und Umweltschützern und deren Idee von standortgebundenem, naturnahem Waldbau konfrontiert. Die kontroversen Diskussionen haben letztendlich dazu geführt, dass nach und nach ökologische Themen in den Fokus rückten und sich das Forststudium inhaltlich sowie methodisch breiter aufstellte. Die Studierenden sollten grundlegende Kompetenzen in Umweltfragen erwerben und lernen, lösungsorientiert zu denken. Ziel war es, sie so auf die Arbeit außerhalb der Forstverwaltung vorzubereiten.

Machen wir einen Zeitsprung: Nach verschiedenen Umstrukturierungen sind die Forstwissenschaften jetzt Teil der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen. Was macht die Ausbildung heute aus?

Die forstliche Ausbildung in Freiburg ist seit jeher ein Spiegelbild aktueller Herausforderungen. Was die Gesellschaft bewegt ist unser Thema – und aktuell sind das vor allem die Folgen des Klimawandels. Wir sind nicht nur eine junge Fakultät, sondern auch ein junges multidisziplinäres Kollegium mit modernen Ansätzen. Im humboldtschen Sinne diskutieren die Professoreninnen und Professoren mit Studierenden über aktuelle Wissenschaftsmeinungen und suchen gemeinsam Lösungen. Die 33 Professuren und fünf Juniorprofessuren decken ein breites Themenspektrum ab, sodass wir unseren mehr als 2.000 Studierenden aus 51 Nationen ein umfassendes deutsch- und englischsprachiges Lehrangebot bieten können.

 

Artikel über das Jubiläum der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen